Videospiel »Hades II«: Die Gamer™ sind wütend

Veronika Kracher über Sexismus und Bro-Culture in der Gaming-Industrie

Gaming-Szene – Videospiel »Hades II«: Die Gamer™ sind wütend

Ich mag Videospiele. Ich habe mehrere Tattoos, die sich auf Videospiel- und Gaming-Kultur beziehen. Und ich habe eine ziemlich ungesunde Summe für Merchandise meines Lieblingsspiels ausgegeben – »Disco Elysium«, ein hervorragendes kommunistisches Videospiel. Zum Erscheinen von »Baldur's Gate 3« habe ich mir eine Woche Urlaub genommen und in dieser Woche acht Stunden täglich vor meinem hochgerüsteten und selbst zusammengestellten Gaming-PC verbracht, bis mir die Augen weh getan haben.

Wieso schreibe ich das? Weil man als Frau, die über reaktionäre Tendenzen in der Gaming-Community schreibt, erstmal »beweisen« muss, dass man weiß, wovon man redet. Die meisten Feminist*innen, die Kritik üben an Sexismus in Videospielen oder der Bro-Culture in großen Teilen der Gaming-Industrie, die einhergeht mit Rassismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit und Union Busting, haben schließlich keine Ahnung, was Gaming-Kultur eigentlich ausmacht. Sie wollen nur ihre feministische Agenda verbreiten! Das behaupten zumindest jene Männer – und ein paar Frauen leider auch – die ich gerne als Gamer™ bezeichne: Menschen, deren Identität weitestgehend auf der Identifikation mit ihrem Hobby »Videospiele« aufgebaut ist (also bevor sich hier Leser*innen echauffieren: nicht jeder Mensch, der Videospiele spielt, ist ein Gamer™).

Dieser Typ Spieler ist der Ansicht, Videospiel-Studios hätten primär die Aufgabe, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Und das primäre Bedürfnis eines Gamers™ ist, eine heterosexistische Männerfantasie spielen zu können, die ihm Eskapismus aus seinem entfremdeten und leeren Alltag im Spätkapitalismus bietet. Der Hauptcharakter muss als heldenhafte Identifikationsfigur (wenn männlich) oder als Masturbationsvorlage (wenn weiblich) herhalten können, und am wichtigsten ist: Das Spiel muss unpolitisch sein.

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»Politisch« bedeutet für Gamer™, dass es queere Menschen gibt, nichtweiße Menschen, Kapitalismuskritik und – am schlimmsten – weibliche Figuren, die ihn nicht sexuell erregen. Dies sagt übrigens auch einiges über den Politik-Begriff von Gamern™ aus, für die beispielsweise ein postapokalyptisches Szenario wie in »Fallout«, bei dem imperialistisches Großmachtstreben und Kapitalismus den Niedergang der Welt zu verantworten haben, unpolitisch war, bis die Serien-Adaption Schwarze, weibliche und nichtbinäre Charaktere in tragenden Rollen eingeführt hat.

Aktueller Stein des Anstoßes von Gamern™ ist der zweite Teil des ausgesprochen erfolgreichen Spiels »Hades«, ein schnelles und actiongeladenes Spiel, das auf griechischer Mythologie basiert. »Hades II« erschien am 6. Mai im Early Access, also einer unfertigen Version, die von Spieler*innen ausprobiert werden kann, um dann Kritik und Verbesserungsvorschläge an das Studio zu geben. Im ersten Teil ging es darum, sich als Zagreus, Sohn des titelgebenden Gottes der Unterwelt Hades, aus dem Reich seines Vaters zu kämpfen, um in Kontakt mit seiner Mutter Persephone zu treten. Protagonistin des zweiten Teils ist Zagreus' Schwester Melinoë, die ihre Familie aus der Gefangenschaft des Titanen Chronos retten muss.

Wie beim ersten Teil ist das Gameplay spaßig und fesselnd, die Dialoge herzerwärmend, die Charaktere vielschichtig und die Grafik ist atemberaubend schön. Außerdem stellt sich das Entwicklerstudio »Supergiant Games« vehement gegen in der Gaming-Branche übliche Ausbeutung wie »Crunch-Times«, bei der Entwickler*innen 60 bis 100 Wochenstunden schuften müssen. Stattdessen gibt es Achtstundentage und Pflichturlaub!

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Doch Gamer™ sind wütend: Die weiblichen Charaktere im Spiel – die Liebesgöttin Aphrodite eingeschlossen – seien zu unattraktiv. Einer der Wortführer ist der ehemalige Blizzard-Entwickler Mark Kern, der nach mehreren selbst verantworteten beruflichen Fehlschlägen eine Karriere als Aktivist der antifeministischen Gamer Gate-Bewegung eingeschlagen hat. Aphrodite hätte nämlich ein »man face«, würde also aussehen wie eine trans Frau, so Kern auf Twitter. Daraus spricht nicht nur Transmisogynie, also spezifisch gegen trans Frauen gerichtete Transfeindlichkeit, sondern ein durch einen latent pädophilen Male Gaze verzerrtes Frauenbild, in dem Frauen nur attraktiv sind, wenn sie große Augen, eine Stupsnase und kindlich-weiche Gesichtszüge haben.

Ein weiterer viraler Tweet empört sich über das Design von Hestia, Göttin des Herdfeuers und Ackerbau. In »Hades II« ist Hestia eine dicke Großmutter mit dunkler Haut und wuscheligem, an Rauch erinnernden Haar, einer Schale Kohlen auf dem Kopf und einem Schürhaken in der Hand – eindeutig eine Feuergöttin. Laut dem Tweet stammt das angeblich bessere Hestia-Design aber aus einem Anime, in dem die Göttin als generisch aussehendes Mädchen mit sehr großen Brüsten dargestellt wird.

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Aus dieser Frustration spricht vor allem patriarchales Anspruchsdenken: Wenn mich ein weiblicher Charakter nicht sexuell erregt, dann ist das »woke«, feministisch, ein Angriff auf Gamer™! Ironisch ist, dass genau dieser Typ Mann, der bei jedem neuen Spiel, das aus unerfindlichen Gründen als »woke« gebrandmarkt wird, einen Tobsuchtsanfall bekommt und Feminist*innen vorwirft, sie seien empfindliche »Snowflakes«, wenn sie Kritik an Sexismus in Spielen üben. Übrigens – auch schon der erste Teil von »Hades« ist ganz schön queer: Zagreus ist kanonisch bisexuell und die Liebesbeziehung zwischen Achilles und Patroclus ist ein sehr relevanter Teil der Story. Nun ja, sollen die Gamer™ weiter wüten – ich hingegen besiege jetzt Chronos.

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