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Bei linker Stadträtin flogen Steine durchs Fenster

Nazis attackieren Wohnhaus von Kommunalpolitikerin in Limbach-Oberfrohna

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Die jetzt attackierte Stadträtin Elli Grobe und Robert Weis vor dem von beiden mitbegründeten linken Kulturzentrum »Doro 40«
Die jetzt attackierte Stadträtin Elli Grobe und Robert Weis vor dem von beiden mitbegründeten linken Kulturzentrum »Doro 40«

Eines muss man den jungen Nazis lassen: Sie können weit und gezielt werfen. Elli Grobe wohnt in der dritten Etage eines Hauses in der sächsischen Kleinstadt Limbach-Oberfrohna. Im Erdgeschoss befindet sich ein linker Infoladen. Er wird betrieben vom Verein »Soziale und politische Bildungsvereinigung«, zu dessen Mitgründerinnen Grobe gehört. Türen und Fenster sind gegen Angriffe gut geschützt. Das Bad in Grobes Wohnung hat zur Straße ein normales Fenster. Durch dieses flog in der Nacht auf Dienstag ein faustgroßer Stein. »Das muss man erst mal schaffen«, sagt Grobe und fügt hinzu: »Ob ich noch im Bad bin, konnte man von unten nicht sehen.«

Gleiches traf schon bei einem Vorfall zwei Nächte zuvor zu. Auch da wurden gegen Mitternacht Steine auf das Haus geworfen: fünf Stück, und zwar durch das einzige erleuchtete Fenster im Gebäude. Grobe war nicht zu Hause, ihr Bruder habe sich allerdings im Raum befunden. Die Gefahr, ihn zu treffen und zu verletzen, habe bestanden, sagt Grobe: »Das geht weit über Sachbeschädigung hinaus.«

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Sachbeschädigung war zunächst das Delikt, weswegen die Polizei zu ermitteln begann. Das änderte sich erst, als Grobe nach der zweiten Attacke erwähnte, dass sie Kommunalpolitikerin ist. Sie sitzt seit 2019 für Die Linke im Stadtrat und kandidiert bei der Kommunalwahl am 9. Juni erneut. Nun wurde dem Vorfall deutlich mehr Gewicht beigemessen, der Staatsschutz schaltete sich ein. Elli Grobe findet es »bedenklich«, dass eine mögliche politische Motivation für die Übergriffe erst untersucht werde, wenn »eine besondere Person« betroffen sei: »Reicht es nicht, wenn Nazis Steine in eine Wohnung werfen?!«

Grobe hat die Täter beim zweiten Vorfall vom Fenster aus beobachtet: sieben oder acht Jugendliche, die sich unweit des Hauses aufgebaut, »Sieg Heil!« gerufen und Lieder der Naziband »Lunikoff« mitgegrölt hätten. Den Moment, in dem Grobe das Handy holte, um die Polizei zu rufen, nutzten sie für die Steinwürfe. Die Gruppe »sehr junger« Rechter sei schon seit einiger Zeit in der Stadt aktiv, klebe Sticker, sprühe Parolen. Die Schwere der Übergriffe steige schnell, sagt Grobe: »Man mag sich nicht vorstellen, was die in zwei Jahren treiben.«

Vielleicht das, wofür frühere Generationen von Nazis in Limbach-Oberfrohna berüchtigt waren. Der Infoladen, über dem Grobe wohnt, war das Ausweichquartier für das soziokulturelle Zentrum »Doro 40«, das die Bildungsvereinigung 2009 eröffnet hatte. An einem Novemberabend 2010 wurden zunächst Mitglieder des Vereins angegriffen und verletzt und dann ihr Domizil angezündet. Es brannte komplett aus. Ein Rechtsextremer wurde unter anderem für den Brandanschlag zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Heute betreibt er ein Tattoo-Studio. Die »Doro 40« wurde erst im Sommer 2023 wiedereröffnet.

Ein ruhiges Pflaster war Limbach-Oberfrohna für linksalternative Jugendliche auch nach dem Urteil nie. Es gab weiter Orte, die man mied, und Ereignisse wie das Stadtfest, bei denen der Schutz des Infoladens verstärkt wurde. Generell aber habe sich die Bedrohungslage beruhigt. »Wir dachten, es hat sich etwas gebessert«, sagt Elli Grobe: »Und jetzt so etwas!« Allerdings, fügt die Kommunalpolitikerin sarkastisch an, »passt das ja gewissermaßen in die Zeit«, in der Menschen wie sie »im Visier« stehen.

Grobes Äußerung bezieht sich auf ein Wahljahr, in dem Übergriffe auf Politiker und Wahlhelfer in beunruhigender Weise zunehmen und brutaler werden. Anfang Mai wurde der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke bei einer Attacke junger Nazis in Dresden schwer verletzt. Im bayerischen Eichstätt wurde an diesem Montag einer iranischen Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung bei einem rassistischen Überfall das Nasenbein gebrochen. Sören Pellmann, Abgeordneter der Linken im Bundestag, berichtete am Dienstag von »massiven körperlichen Drohungen« an einem Wahlstand in Leipzig-Grünau. Und in Ostsachsen wurde dem scheidenden AfD-Landtagsabgeordneten Mario Kumpff in einem Supermarkt ins Gesicht geschlagen.

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