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Bilingual Balg
In Deutschland besuchen Schulkinder die Kläranlage, in den USA den Vergnügungspark
Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,
kennen Sie noch den Spruch »Kauf dir eine Tüte Deutsch«? Mit diesem wurde ich 1996 als russisches Immigrantenkind in Deutschland empfangen. Das erste Jahr der Migration war schwer für mich als einzige Ausländerin der Klasse in einer hessischen Kleinstadt; aber vielleicht war der Spracherwerb nicht so hart wie die Tatsache, dass ich so anders aussah als die anderen Kinder. Dem Russenlook mit Strumpfhose, Lederpumps und Kleid bin ich trotz aller Widrigkeiten auch dreißig Jahre später noch treu. Meine Tochter ist auch ein Immigrantenkind, wenngleich ein angesagteres, mit Käppi und Disney-Merch. Das Renommee des Herkunftslandes zählt im Hinblick auf die Migrantenpopularität genauso wie die Flexibilität des Ziellandes. Aus Russland zu kommen in Deutschland ist etwas ganz anderes, als in Amerika aus Deutschland zu kommen. Kommen Sie noch mit?
Was die Tüte Englisch betrifft, ist meine Tochter aber in einer ähnlichen Situation wie ich einst. Ich sprach kein Deutsch, als ich frisch aus Russland ankam; meine Tochter wurde zwar in den USA geboren, hadert aber noch mit dem Englischen – weil wir zu Hause Deutsch sprechen und sie zwei Jahre lang den deutschen Kindergarten besuchte. Dieses Schuljahr wechselte sie dann auf die amerikanische Vorschule und ich staunte nicht schlecht: Ungleich mir damals hat sie nun eine Bandbreite an Angeboten, die sie bei ihrem Spracherwerb unterstützen sollen, wie einen wöchentlichen ESL-Kurs (»English as Second Language«), eine Lern-App und ein ganzes Gratis-Sommercamp für »zweisprachige« Kinder. Das Wort »Migrationshintergrund« wird hier, weil es pejorativ ist, gar nicht erst verwendet. Wenn sie nicht mein Kind wäre, wäre ich ziemlich neidisch!
Überhaupt ist die US-Schule eine ganz andere Angelegenheit als die deutsche. Einerseits gibt es eine dauernde Bespaßung und Betütelung, andererseits übertrieben hohe Anforderungen. Zum Spaßprogramm gehörten dieses Schuljahr ein Field Trip und ein Field Day (zu den Unterschieden später), ein Rodeo, Filmschauen mit Popcorn im Klassenraum, eine 100-Tage-Schule-Feier, eine Weihnachts-, Valentinstags- und Oster- sowie eine Schaumparty (das Clubbing der Nullerjahre feiert ein Comeback), eine Box mit Spielsachen, aus der man sich wöchentlich bedienen kann, mehrere Zeremonien, an denen Urkunden für alle möglichen (Pseudo-)Erfolge verliehen werden, zwei Picknicks und eine Parade.
Zu den übertriebenen geistigen Anforderungen gehört zum Beispiel die Erwartung, dass schon Vorschulkinder, also Fünfjährige, fließend lesen und schreiben können. Dazu gibt es Aufgaben wie »Schreibe einen Witz!« oder »Male die Erde und schreibe auf, wie du ihr helfen kannst!« – »weniger Plastikkram verwenden« fiel mir dazu gleich ein, nachdem ich bei den Partys mitangesehen hatte, dass an dieser Schule täglich tütenweise Bastelkram entsorgt wird – und die ernstgemeinte Frage nach der Intention der Autoren jener Kinderbücher, die die Kinder lesen. »Bock auf Geld« fiel mir da wiederum als erste Antwort ein, aber die Lehrerin versicherte mir, dass es darum gehe, entweder zu überzeugen (persuasion), zu informieren (information) oder zu unterhalten (entertainment). Auch wurden die Kinder angehalten aufzuschreiben, was sie als Präsident dieses Landes tun würden. Das Weiße Haus ist offenbar schon so verzweifelt, dass es an Vorschulen nach Orientierung sucht.
Auf dem Ausflug in einen Vergnügungspark, dem Field Trip, fragte mich eine Mutter, ob meine Kindheit ähnlich war wie die meiner Tochter. Ich lachte schallend. In Russland gab’s höchstens einen Schulausflug zum Zahnarzt, welcher mich anschrie, ich solle bloß nicht flennen, bevor er mir – natürlich ohne Betäubung – eine sowjetisch-graue Füllung reindrückte. In Deutschland dagegen unternahmen wir einen echten Field Trip, allerdings nur zur Kläranlage. Und das deutsche Pendant zum spaßig-amerikanischen Field Day sind die furchteinflößend-traumatischen Bundesjugendspiele gewesen, welche nun, Gott sei Dank, endlich softer, also amerikanischer, werden sollen.
Ich frage mich oft, ob zu viele positive Erfahrungen die Kinder nicht zu schwächlich-narzisstischen Konsumsuchtis werden lassen, welche entweder krass eingebildet oder übertrieben unsicher sein werden, und zwar abhängig davon, ob sie den hohen Leistungsanforderungen gerecht werden oder nicht. »Keine worries, Mama«, sagt meine neuerdings Denglisch sprechende Tochter. Höchste Zeit, in Deutschland eine Kläranlage aufzusuchen.
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