Theater Oberhausen: Hinrichtung des Publikums

Am Theater Oberhausen erfährt Joël Pommerats Horrorstück »Ich zittere (1 und 2)« seine deutsche Erstaufführung

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Bang fragt man sich, ob die Figuren ins Fegefeuer oder gleich in die Hölle stürzen.
Bang fragt man sich, ob die Figuren ins Fegefeuer oder gleich in die Hölle stürzen.

Nebel wabert zwischen glitzernd gekleideten Menschen, die mit starrem Blick von ihren Schicksalen erzählen, Popsongs in Mikrofone säuseln und einander tödlich an den Seelen verletzen. Ständig dräut es unheilschwanger aus den Boxen, bis der Lärm plötzlich anschwillt, ein Stroboskop feuert und das Ensemble sich im Schutz des blendenden Lichts in einer neuen Konstellation des Schreckens zusammenfindet.

Man fühlt sich in das Set eines Films von David Lynch versetzt. Der US-amerikanische Regisseur seinerseits hat ein Faible für Bühnen. Viele Szenen in seinen Filmen und Serien spielen vor typisch roten Vorhängen, hinter denen sich Schreckliches verbirgt. Die Aufgabe eines Horrorfilmregisseurs besteht darin, das Grauen anzudeuten, es aber nicht so offen zu zeigen, dass es sich restlos erklären ließe. Es ist eine Gratwanderung, die ganz ähnlich auch Joël Pommerat mit seinem Stück »Ich zittere (1 und 2)« vollzieht. Das Geschehen muss rätselhaft genug sein, um emotional zu affizieren, es muss dabei aber auch genügend Momente des Verstehens bereithalten, um das Publikum intellektuell bei der Stange zu halten.

Der 1963 geborene Franzose Pommerat ist seit einigen Jahren auch im deutschsprachigen Raum ein gefragter Autor. Sein Text »Die Wiedervereinigung der beiden Koreas« wurde von Wien bis Kaiserslautern rauf und runter gespielt. »Ich zittere« musste dagegen lange auf seine deutsche Erstaufführung warten, die am Freitag am Theater Oberhausen herauskam. Pommerat selbst brachte die beiden Teile des Stücks 2007 und 2008 beim renommierten Festival d’Avignon zur Uraufführung. Die Übersetzung von Gerhard Willert enthält, für Gegenwartsdramatik eher unüblich, dezidierte Regieanweisungen. Es handelt sich also eher um das Protokoll einer bereits erarbeiteten Inszenierung denn um ein Angebot an die Regie.

Der Regisseur Wolfgang Menardi weicht in seiner zweistündigen Produktion an einigen Stellen von diesem Skript ab, lässt aber das geforderte Revue-Setting bestehen. Zu Beginn wendet sich Klaus Zwick als Conférencier direkt ans Publikum. Hinter ihm steht eine Figur mit weißer Maske und flüstert ihm die Worte ein, die er vorzutragen hat: »Am Ende, nachher, ganz am Ende dieses Abends sterbe ich vor Ihren Augen.«

Damit ist die Bombe gelegt: der Tod als finaler Zaubertrick einer spektakulären Show. Tatsächlich aber gibt der Conférencier schon bald zu, dass er sich eigentlich schon längst umgebracht habe, weil sich seine Geliebte von ihm getrennt hatte. In einigen der folgenden Szenen geht es darum, wie er das Drama hätte verhindern können.

Teils per Voice-over vom Band, teils monologisierend sorgt Zwick in der etwas verwirrenden Geschichte wenigstens ein Stück weit für Aufklärung: Selbstsucht hatte den Conférencier davon abgehalten, seine Frau als die anzusehen, die sie wirklich war. Nachdem er das nach seinem Selbstmord endlich verstanden hat, überschreitet er die Grenze des Todes erneut, um sich zu bessern, was – ein wenig kontraintuitiv – in diesem Falle heißt: die eigene Schlechtigkeit nicht vor sich selbst zu verbergen, sondern sie auszuleben. Nicht eben subtil spielen Zwick und Regina Leenders das in einer Szene durch, in der er seine neue Geliebte bittet, sich von ihrem Meerjungfrauenschwanz zu trennen, um ihr nach der Operation zu eröffnen, dass sie ihm nun nicht mehr gefalle.

Der Zynismus, die seelische und körperliche Gewalt, aber auch die Trauer sind nicht selten Resultate in der losen Szenenfolge des Stücks. Ein Vampir treibt sein Unwesen; ein Mörder gibt Ratschläge an Hochschwangere; ein Verbrecher triumphiert vor Gericht; eine Frau bekennt, dass all die Opfer, die sie in ihrem Leben gebracht hat, völlig sinnlos gewesen seien; ein vermeintlicher Zuschauer wird kurzerhand erschossen, als er ein paar kritische Nachfragen stellen möchte.

Das elfköpfige Ensemble wirft sich Mal um Mal hinein in diese albträumerischen Szenen. Mirjam Stängl hat ihnen eine statthafte Bühne für ihr trauriges Horrorstück gebaut: eine runde Fläche, deren Hälften im 45-Grad-Winkel abknicken, in der Mitte ein Loch, in das immer mal wieder jemand abtaucht. Manchmal glaubt man Flammen aus ihm hervorlodern zu sehen. Bang fragt man sich, ob die Figuren ins Fegefeuer oder gleich in die Hölle stürzen.

Nächste Vorstellungen: 7., 15. und 19. Juni
www.theater-oberhausen.de

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