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Umverteilung, nur andersrum
Christoph Butterwegge über die grassierende Armut in Deutschland
Armut dringt seit geraumer Zeit stärker in die Mitte unserer Gesellschaft vor, während sich der Reichtum immer mehr bei wenigen Familien konzentriert. Die Armutsbetroffenheit hierzulande hat im Jahr 2022 einen Rekordstand seit der Vereinigung erreicht: 14,2 Millionen Menschen (16,8 Prozent der Bevölkerung) hatten weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung, was für Alleinstehende 1186 Euro im Monat entsprach. Die höchsten Armutsrisiken wiesen Erwerbslose mit 49,7 Prozent, Alleinerziehende mit 43,2 Prozent und Nichtdeutsche mit 35,3 Prozent auf. Kinder und Jugendliche waren mit 21,8 Prozent stärker betroffen denn je. Zudem nimmt das Armutsrisiko der Senioren seit geraumer Zeit am stärksten zu.
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Doch die großen Privatvermögen befinden sich in wenigen Händen: Die fünf reichsten deutschen Unternehmerfamilien (Albrecht/Heister, Boehringer/von Baumbach, Kühne, Quandt/Klatten und Schwarz) besitzen zusammen etwa 250 Milliarden Euro und damit mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Rund 40 Prozent der Bevölkerung haben gar kein nennenswertes Vermögen. Über 30 Millionen Menschen leben – streng genommen – von der Hand in den Mund, weil ihnen Rücklagen fehlen, die man spätestens in einer finanziellen Krisensituation braucht, und sind im Grunde nur eine Kündigung oder eine schwere Krankheit von der Armut entfernt.
Aufgrund der kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen, der bestehenden Eigentumsverhältnisse und der ungerechten Verteilungsmechanismen werden die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher. Tagtäglich findet Umverteilung von Unten – den hart Arbeitenden – nach Oben – zu den viel Besitzenden – statt: Unternehmensprofite, Veräußerungs- und Kursgewinne der Aktionäre, Dividenden, Zinsen sowie Miet- und Pachterlöse von Immobilienkonzernen fließen überwiegend in die Taschen materiell Bessergestellter, sind aber normalerweise von Menschen erarbeitet worden, die viel weniger Geld haben, oft nicht einmal genug, um in Würde leben zu können. Deshalb muss Umverteilung künftig in die entgegengesetzte Richtung stattfinden – als Rückverteilung des Reichtums von Oben nach Unten, also zu denjenigen Menschen, die ihn geschaffen und nicht geerbt haben.
Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Zuletzt ist sein Buch »Umverteilung des Reichtums« erschienen.
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Wer die Entstehungsgründe eines gesellschaftlichen Strukturproblems wie der sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich nicht kennt, kann es aber weder an den Wurzeln packen noch auf andere Weise lösen. Nur wenn man weiß, warum die sozioökonomische Ungleichheit zuletzt erheblich angestiegen ist, lässt sich herausfinden, welche Maßnahmen ihr Einhalt gebieten könnten. Maßgeblich dafür sind drei Ursachenbündel im Zusammenhang mit (Fehl-)Entscheidungen von Parlament und Regierung: die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Demontage des Sozialstaates und die Deformation des Steuersystems. Als weitere Verstärker der Ungleichheit wirkten zuletzt die Covid-19-Pandemie, die Energiepreisexplosion aufgrund des Ukrainekrieges und die durch beide Krisenphänomene ausgelöste Inflation.
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