Berlin: Leistungsdruck selbst an der Grundschule

Gewerkschaften und Eltern kritisieren neues Schulgesetz

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 3 Min.

Das neue Schulgesetz steht in der Kritik: Vertreter von Opposition, Lehrkräften und Eltern zeigten sich bei einer Anhörung im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhaus am Donnerstag skeptisch gegenüber zentralen Vorhaben des Gesetzespakets. Mit dem Schulgesetz sollen vor allem von der CDU in den Koalitionsvertrag verhandelte Forderungen umgesetzt werden.

Kontrovers wurde vor allem die neue Regelung zum Übergang auf Gymnasien diskutiert. »Berlin ist bei der Chancengerechtigkeit eigentlich auf einem guten Weg«, sagte Tom Erdmann, Berliner Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. »Das wird mit der Neuregelung aufs Spiel gesetzt.« Der Entwurf für das Schulgesetz sieht vor, dass beim Übergang von Grundschulen auf Gymnasien künftig nur noch die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik ausschlaggebend sein werden. In diesen Fächern muss künftig mindestens ein Notenschnitt von 2,3 erreicht werden. Bislang werden alle Fächer berücksichtigt, die Hauptfächer sowie Natur- und Gesellschaftswissenschaften allerdings doppelt gewertet. Im Gegenzug soll das Probejahr in der siebten Klasse entfallen.

»Die Schüler werden nicht mit ihren ganzen Kompetenzen gesehen«, kritisierte Erdmann die neue Regelung. Besonders Kinder aus Haushalten, in denen nicht nur Deutsch gesprochen wird, würden durch den Schwerpunkt auf Sprachen benachteiligt. Es sei absehbar, dass die Gymnasien durch die Neuregelung weniger Kinder aufnehmen müssten. »Die Integrierten Sekundarschulen müssen dann mehr Schüler aufnehmen, dabei platzen sie jetzt schon aus den Nähten«, sagte Erdmann.

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Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses, verwies darauf, dass im Schulgesetz ein ganzheitlicher Bildungsansatz festgeschrieben sei. »Die Neuregelung widerspricht diesen Grundsätzen«, so Heise. Er forderte, das Vorhaben um ein Jahr zu verschieben. Guido Richter, zweiter Vorsitzender des Verbands Berliner Grundschulleitungen, warnte, dass Eltern und Schüler Fächer abseits der Hauptfächer nun als weniger wichtig warnehmen würden. Dies könne sich negativ auf das Unterrichtsklima in den Nebenfächern auswirken.

Arnd Niedermöller, Vorsitzender der Vereinigung der Oberstudiendirektoren, verteidigte die Neuregelung dagegen. »Deutsch, Englisch und Mathe vermitteln Basiskompetenzen«, sagte er. »Man braucht für jedes andere Fach Kompetenzen aus diesen Fächern.« Es müsse sichergestellt werden, dass die Schüler den Leistungsanforderungen an Gymnasien gewachsen seien. Würden die Gymnasien weniger Schüler aufnehmen müssen, würden dadurch Kapazitäten für andere Schulformen frei. »Das ist auch sozial gerecht.« Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch verwies darauf, dass auch Integrierte Sekundarschulen zum Abitur führen können – allerdings in 13 statt zwölf Jahren. »Wir wollen die Kompetenzen der Schüler in den Blick nehmen und nicht die eine oder andere Schulform stärken oder schwächen«, sagte sie.

Übergreifende Kritik gab es an der geplanten Einführung von Religionsunterricht an Schulen. Dieser soll künftig als Wahlpflichtfach unterrichtet werden. »Wir haben andere Probleme«, kritisierte Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Der Senat setze damit die falschen Schwerpunkte. Guido Richter vom Verband der Grundschulleitungen verwies darauf, dass das neue Angebot die Platznot an vielen Schulen verschärfen werde.

Stärkere Unterstützung erfuhren dagegen andere Vorhaben aus dem Schulgesetz: Schüler, die die Schule nach der zehnten Klasse ohne Abschluss verlassen und keine Ausbildung beginnen, sollen zukünftig zum Besuch eines elften Schuljahres verpflichtet werden. Mehr Pflicht soll es auch an anderer Stelle geben: Kinder, bei denen anderthalb Jahre vor der Einschulung ein Sprachdefizit festgestellt wird, sollen künftig verpflichtend an einem Sprachförderangebot in einer Kita teilnehmen.

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