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Kolumbien: Ölschlieren und Fischsterben
Yuly Velásquez kämpft zusammen mit den Fischern für saubere Gewässer in der kolumbianischen Stadt Barrancabermeja. Das ist gefährlich
Mit einem eleganten Schwung wirft Julio Concho das nahezu quadratische Netz vom Bug des Fischerbootes aus über den Caño San Silvestre. Der zehn, stellenweise auch zwölf Meter breite Kanal führt hinaus auf die Ciénaga San Silvestre, ein rund 70 000 Hektar großes See- und Sumpfökosystem nahe der Stadt Barrancabermeja im Nordosten Kolumbiens. Das ist berühmt für seine einzigartige Flora und Fauna. »Seekühe, Brillenkaimane, Wasservögel und Unmengen an Fischen, vor allem Welse, gibt es hier«, erklärt Yuly Velásquez. »Doch derzeit ist Fisch knapp, für uns Fischer wird es immer schwerer.«
Die Präsidentin von Fedepesan, der 2019 gegründeten Dachorganisation von Fischerei-Organisationen in der Region Barrancabermeja, ist heute Morgen mit den Kollegen unterwegs, um die Wasserqualität und den Fischbestand in und um die Ciénaga San Silvestre zu kontrollieren. Gespannt sieht sie zu, wie Julio Concho, ein hagerer 64-Jähriger, das Netz langsam wieder einholt. Nicht ein Fisch zappelt in den weiten Maschen, das Jungtieren die Chance bietet, durchzurutschen.
Für Velásquez ist das kein Zufall. Die derzeitige Situation sei alarmierend: »Wir haben es mit sinkenden Wasserständen aufgrund des Klimaphänomens El Niño zu tun. Zudem leiden wir unter Fischsterben und einer zunehmenden Kontaminierung.« Die 39-Jährige ist selbst Fischerin, außerdem diplomierte Umweltingenieurin und vertritt rund 2000 Fischer und Fischerinnen in Barrancabermeja.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
In der Ciénaga San Silvestre wird mit traditionellen Methoden gefischt. Mehr als das grobmaschige Wurfnetz und eine kräftige Angelrute ist bei den Kleinfischern wie Julio Concho verpönt. Er wird heute von seinem Freund und Kollegen Estebán Arnaz begleitet und gehört zu den Gründungsmitgliedern der Fischereiorganisation Asogeaff. »Wir haben unsere Vereinigung 2014 gegründet und sind die Hüter der im Süßwasser lebenden Spezies sowie von Flora und Fauna«, erzählt der 64-Jährige. Nach der Gründung hätten sie »jemanden mit Expertise, unserem Background und rhetorischem Geschick gesucht«. Mit Velásquez, die damals gerade ihr Diplom als Umweltingenieurin abgeschlossen hatte, hatten sie eine solche Person gefunden. Zehn Jahre ist das her. Seitdem ist die Umweltbewegung in Barrancabermeja deutlich gewachsen, Asogeaff ist nur noch eine von sieben Vereinigungen unter dem Dach von Fedepesan.
Die Organisation engagiert sich für den Umweltschutz in der Region. Regelmäßig stehen Ausfahrten mit Fischerinnen und Fischern an, aber auch mit Studierenden. Fedepesan dokumentiert dabei Veränderungen von Flora und Fauna und entnimmt Wasserproben.
In den ersten Monaten des Jahres hat sich die Situation verschärft: »Zwei tote Seekühe haben wir schon bergen müssen, ein ausgewachsenes Tier und ein Baby«, erzählt Velásquez. »Wir haben die Umweltbehörden verständigt und sie um die Feststellung der Todesursache gebeten. Dann sind wir an die Öffentlichkeit gegangen.« Das hat für Aufmerksamkeit gesorgt, denn viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer sind stolz auf die vom Aussterben bedrohten Säugetiere, die noch in vier oder fünf Regionen des Landes vorkommen. Aber auch der Fischmangel und die daraus resultierenden steigenden Preise hat die Bevölkerung für die bedrohte Umwelt sensibilisiert.
Das bestätigen auch Julio Concho und Estebán Arnaz. Für die beiden ist das größte Unternehmen der Stadt für das Fischsterben zumindest mitverantwortlich: Ecopetrol. Das zu rund 88 Prozent im staatlichen Besitz befindliche Erdöl-Unternehmen sei für die Kontaminierung der Ciénagas und der sie verbindenden Kanäle verantwortlich. »Wir können die Schlieren hin und wieder im Wasser sehen, riechen das Öl, manchmal Chemikalien, wenn wir die Netze einholen«, erklärt Concho. Er gehört genauso wie Arnaz zu den Älteren in ihrer Organisation. Beide können sich genauso wie Velásquez noch genau daran erinnern, wie sie Bagre und Tigerwels gefangen haben. Bis zu zwei Meter lang waren die größten Exemplare. Aber solche Fische haben die drei in letzter Zeit nicht mehr gesehen.
»Auch andere Fischarten wie Coroncoro oder Aguja (eine weitere Welsart sowie Hornhecht) sind heute knapp«, erklärt Velásquez. Sie ist regelmäßig auf den Kanälen, die zur Ciénaga San Silvestre führen, unterwegs sowie auf den angrenzenden Flüssen, dem Río Magdalena und dem Río Sogamoso. Lange war es relativ einfach, den Lebensunterhalt mit dem Fischen zu verdienen. Derzeit ist es kaum möglich.
Neben der Umweltverschmutzung und den ohnehin sinkenden Pegelständen kommt die kontinuierliche Wasserentnahme durch das regionale Wasserunternehmen Aguas de Barrancabermeja hinzu. Die abnehmende Ufervegetation und der agrarindustrielle Anbau von Ölpalmen in direkter Nähe der Ciénaga San Silvestre sorgen dafür, dass der Pegel in dem Ökosystem sinkt. »Die Ciénaga verliert an Tiefe«, meint Oswaldo Beltrán. Das bestätigen auch wissenschaftliche Studien, so Umweltexperte Juan Camilo Delgado von der Menschenrechtsorganisation Credhos. Der Biologe verweist zudem darauf, dass es in Barrancabermeja keine Kläranlage gibt, die Abwässer also ungeklärt in Flüsse, Kanäle und Seen gehen. Ein Skandal, auf den die Umweltbewegung rund um Fedepesan die Stadt immer wieder hinweist.
Aber die Proteste sind ausgesprochen riskant. Velásquez hat seit 2019 immer wieder Morddrohungen erhalten. »Es war sicherlich kein Zufall, dass das erste Attentat auf mich und meine Familie im Januar 2021 erfolgte«, sagt sie mit leiser Stimme. »Zuvor hatten wir Korruption bei der Auftragsvergabe zur Sanierung von Flächen an der Ciénaga San Silvestre zwischen Ecopetrol und der regionalen Umweltbehörde aufgedeckt.« Zwei Auftragskiller feuerten mehrere Kugeln auf ihr Haus in Barrancabermeja ab. Sie schlugen in Fenster- und Türleisten ein. Niemand wurde verletzt. Seitdem macht Velásquez keinen Schritt mehr ohne zwei vom Staat gestellte Bodyguards, und auch heute sitzt sie mit einer schusssicheren Weste im Boot.
Ihr Privatleben hat dieses erste Attentat, dem zwei weitere folgten, auf den Kopf gestellt. Vor allem ihren beiden Kindern, dem 18-jährigen Heyner und der zwei Jahre älteren Yulitza, gehen die Anweisungen der Leibwächter auf die Nerven. »Heyner träumt von einer Fußballkarriere, aber das passt nicht zu den Sicherheitsvorgaben«, gibt Velásquez zu. Die Familie muss mit den Einschränkungen leben. Wenn Velásquez keine Verpflichtungen hat, hält sie sich meistens in einem weißen Eckhaus im Stadtteil San Silvestre auf, das Kameras überwachen und bei dem die Fenster mit einem Metallgitter eingefasst sind. Das Fischen, das sie bei ihren Großeltern am Río Magdalena gelernt hat, überlässt sie meistens ihrem Mann. Sie geht unnötigen Risiken aus dem Weg. Erst Anfang März schmierten vermutlich Paramilitärs die Parole »Fuera« (raus) an eine Wand ihres Hauses und unterzeichneten mit Clan del Golfo.
Für Iván Madero Vergel von Credhos ist das eine ernstzunehmende Drohung. »Der Clan zählt zu den brutalsten paramilitärischen Organisationen Kolumbiens.« Madero ist ebenso wie Velásquez ins Fadenkreuz von zwei paramilitärischen Organisationen geraten, weil beide sich nicht scheuen, die Verantwortlichen hinter der Umweltkrise in und um Barrancabermeja zu benennen. Beide haben die Region für einige Wochen verlassen und haben ein wenig Pause von der permanenten Bedrohung. Sie sind nach Deutschland gereist, wo Velásquez am heutigen Dienstag in Berlin den Menschenrechtspreis von Amnesty International entgegennimmt.
Kolumbien ist das weltweit gefährlichste Land für Umweltaktivistinnen und -aktivisten. Die Menschenrechtsorganisation Global Witness weist in ihrem aktuellsten Bericht aus dem Jahr 2022 darauf hin, dass 60 von weltweit 177 tödlichen Attentaten auf Umweltschützerinnen und Umweltschützer in Kolumbien stattfanden. Eine internationale Aufmerksamkeit ist für Velásquez in diesem Kontext wichtig: »Das macht uns sichtbarer.« Und das könnte dazu beitragen, dass die Angriffe auf Fedepesan und ihre umtriebige Präsidentin zurückgehen und sich vor Ort Chancen für mehr Umweltschutz ergeben.
Die Unterstützung der nationalen Regierung von Gustavo Petro hat Fedepesan. Dem könnten auch die regionalen Behörden folgen. Davon träumt Vélasquez, die sich früher als »Amphibienfrau« bezeichnete, weil sie mehr im Wasser als an Land war. Die Zeiten sind vorbei, weil das jetzt zu gefährlich wäre. Aber das soll sich wieder ändern, und dafür kämpft die Frau aus Barrancabermeja.
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