Nachtasyl jetzt ganzjährig

Notübernachtung am Görlitzer Park künftig 365 Tage im Jahr in Betrieb

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Schlafräume in der Notunterkunft sind spartanisch eingerichtet.
Die Schlafräume in der Notunterkunft sind spartanisch eingerichtet.

Sechs schlichte Betten, ohne Kissen oder Decken, stehen in einem kahlen Raum. An den Wänden sind Nummern aufgemalt, damit die nächtliche Bleibe wiedergefunden werden kann. Die Schlafunterkünfte in der Ohlauer Straße in Kreuzberg sind auf ihre minimale Funktion ausgelegt: ein Nachtlager fernab von der Straße.

88 Männer sollen hier ab Dienstag pro Nacht schlafen können. Die von den Johannitern in einem alten Schulgebäude betriebene Unterkunft war bislang nur im Winter geöffnet, nun wird der Betrieb auf das ganze Jahr ausgeweitet. »Obdachlosigkeit endet ja nicht in den Sommermonaten«, sagt Jörge Bellin, Koordinator für Obdach- und Wohnungslosenarbeit der Johanniter, bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der »Ohlauer 365« am Montag. Die Unterkunft biete ein niedrigschwelliges Angebot für die zahlreichen Obdachlosen im Kiez rund um den Görlitzer Park.

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Bis 23 Uhr können sich Obdachlose hier für eine Nacht einquartieren. Um 7.45 Uhr am nächsten Tag müssen sie die Unterkunft wieder verlassen. Neben der Übernachtung werden auch Abendessen und Frühstück bereitgestellt. Zudem soll ein Sozialarbeiter für die Gäste ansprechbar sein, der sie zu Behördengängen begleiten kann und sie bei der Suche nach zumindest mittelfristigen Unterkunftsmöglichkeiten unterstützt. Ärzte organisieren ehrenamtlich einmal die Woche eine Sprechstunde.

Das Angebot richtet sich explizit an süchtige wie nicht süchtige Obdachlose. Konsum ist in den Räumen allerdings streng verboten. »Sucht und Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum bewegt die Nachbarschaft intensiv«, sagt Clara Herrmann (Grüne), Bezirksbürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg. Rund um den Görlitzer Park hatte sich die Lage zuletzt verschärft. Nachbarschaftsinitiativen klagen über einen Anstieg von Drogenkonsum in Hauseingängen und Treppenhäusern. »Die Thematik nimmt zu«, stellt Herrmann fest. »Es handelt sich aber nicht um ein reines Kreuzberger Phänomen.« Auch in Neukölln, Mitte und Tempelhof-Schöneberg werde eine Zunahme von öffentlichem Drogenkonsum beobachtet.

»Natürlich arbeiten wir hier nicht nur mit friedfertigen Aperol-Spritz-Trinkern«, sagt Astrid Leicht vom Verein Fixpunkt, der in unmittelbarer Nachbarschaft eine Fixerstube betreibt, wo die Abhängigen unter sicheren Bedingungen ihren Stoff spritzen oder rauchen können. Mitarbeiter von Fixpunkt sollen künftig punktuell in die Notübernachtung kommen, um Unterstützung anzubieten. Fest in den Betrieb eingebettet seien sie aber nicht. Eine räumliche Trennung von süchtigen und nicht süchtigen Gästen in der Unterkunft ist nicht vorgesehen. »Wir wollen hier ein Miteinander ermöglichen«, sagt Leicht.

Bislang klappe das bereits ganz gut, berichtet Grzegorz Wierciochin gegenüber »nd«. Wierciochin koordinierte bereits die ehrenamtliche Arbeit, als die Unterkunft nur im Winter geöffnet war. »Die Essensausgabe hat sich zu einem Treffpunkt entwickelt«, sagt er. Im Gegensatz zur Notübernachtung ist diese auch für weibliche Obdachlose geöffnet. Zusätzlich zu den 88 Übernachtungsgästen kämen dann noch etwa 40 Menschen, die nur für die Essensausgabe kommen. »Zwei, drei Stunden in Ruhe verbringen, ohne den Stress der Öffentlichkeit im Nacken – das ist eine wichtige Funktion der Einrichtung«, sagt Wierciochin.

Die ganzjährige Unterkunft gehört zu dem Maßnahmenpaket, das beim sogenannten Sicherheitsgipfel im September vergangenen Jahres beschlossen wurde. Während das zentrale Vorhaben – die Umzäunung des Görlitzer Parks – immer noch mit Verzögerungen kämpft, kann die ganzjährige Notunterkunft planmäßig an den Start gehen. Größere bauliche Änderungen waren an dem bereits als Winterunterkunft genutzten Gebäude nicht notwendig.

Für den Betrieb stellt der Senat 1,1 Millionen Euro für das Jahr 2024 und 1,6 Millionen Euro für das Jahr 2025 bereit. Was danach passiert, ist noch unklar. »Versprechen kann hier niemand etwas, so viel Ehrlichkeit muss sein«, sagt Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann. Die Finanzierung hänge an den Haushaltsbeschlüssen des Parlaments. Für Herrmann ein Problem: »Hier ein paar Projektmittel, da ein paar Projektmittel – das funktioniert auf Dauer nicht.« Einrichtungen wie die »Ohlauer 365« bräuchten eine dauerhaft gesicherte Finanzierung. »Das ist der einzige vernünftige Weg.«

Für Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) ist es bereits ein Erfolg, dass die Finanzierung für zwei Jahre trotz der angespannten Haushaltslage gesichert werden konnte. »Das war eine gemeinsame Anstrengung aller Ebenen«, sagt sie. Ihre Verwaltung arbeite aktuell an einem »langfristigen und nachhaltigem Konzept«, um die soziale Infrastruktur auch durch die sich bereits abzeichnende nächste Sparwelle im Doppelhaushalt 2026/2027 zu bringen. Details könne sie aktuell aber noch nicht nennen.

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