UNHCR fordert, Migranten aus Wüsten zu retten

Vorverlagerung europäischer Grenzen lässt viele Menschen in der Sahara verdursten

Im April haben algerische Behörden Hunderte Geflüchtete in die nigrische Wüste deportiert.
Im April haben algerische Behörden Hunderte Geflüchtete in die nigrische Wüste deportiert.

Zur Migrationspolitik der Europäischen Union gehört die schrittweise Vorverlagerung ihres Grenzmanagements bis in den afrikanischen Kontinent hinein. Afrikanische Mittelmeeranrainer erhalten beträchtliche Zahlungen aus Brüssel, wenn sie im Gegenzug Geflüchtete auf dem Weg nach Europa aufhalten. Tunesien und Ägypten haben hierfür eigene »Migrationsabkommen« mit der EU-Kommission geschlossen, weitere Länder, darunter Marokko, sollen folgen.

Die Externalisierung des europäischen Grenzregimes zwingt Schutzsuchende auf immer schwierigere Routen. Immer mehr Menschen sterben deshalb im Mittelmeer, allein in diesem Jahr zählt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit Stand vom 4. Juni 613 Ertrunkene oder Vermisste.

Doch bereits die Etappe vor dem Mittelmeer endet für viele Menschen tödlich, besonders in der Sahara. Darauf macht nun Vincent Cochetel, der beim UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) für die Situation auf der zentralen Mittelmeerroute zuständig ist, aufmerksam.

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Es werde viel über die Bergungen im Mittelmeer diskutiert, nötig sei aber auch die Rettung in der Wüste, sagte Cochetel am Dienstag in Genf. Seine Aufforderung richtet sich an humanitäre Organisationen, die in Hauptstädten vieler afrikanischer Länder zwar zahlreich vertreten sind. Dort gibt es aber kaum Flüchtlinge und Migranten, erklärt Cochetel. Die Organisationen müssten deshalb ihre Präsenz auf die gefährlichen Migrationsrouten ausweiten.

Nach UNHCR-Angaben riskieren Hunderttausende Menschen ihr Leben, die in Afrika südlich der Sahara unterwegs sind. Auf den Migrationsrouten seien sie dem Risiko von Gewalt, Folter und Entführungen ausgesetzt. Menschen würden außerdem in kleineren Ortschaften von Schleppern ohne Versorgung allein gelassen, sagte Cochetel. Dort bräuchten sie Nothilfe und Informationen über die Gefahren. Es müsse deshalb viel stärker mit lokalen Behörden zusammengearbeitet werden, die in den Gebieten vor Ort sind und Menschen helfen könnten. Das UNHCR rief Geberländer auf, mehr Geld für diese Arbeit zur Verfügung zu stellen.

Die großen Migrationsrouten durch die Sahara starten im Niger. Nach dem erfolgreichen Militärputsch vor einem Jahr und der Festnahme des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum hat die Militärregierung ein 2015 erlassenes Gesetz gegen die »Schleusung von Migranten« aufgehoben. Die Fluchthilfe ist demnach wieder legal. Alle Urteile, die seit der Umsetzung dieses Gesetzes ergangen sind, wurden für nichtig erklärt.

Laut der International Organisation for Migration, der für Migration zuständigen Organisation der UN, ist die Migration zwischen dem Niger und Libyen seit Aufhebung des Schleuser-Gesetzes wieder deutlich angestiegen. Konvois werden auch durch die nigrische Armee geschützt, was das Sterberisiko reduziert. Auch die Preise für eine Fahrt nach Libyen sollen mit rund 200 Euro auf die Hälfte gesunken sein.

Viele Menschen sterben aber weiterhin in der Wüste, nachdem sie von Polizeien der nordafrikanischen EU-Partner zurückgeschoben wurden. Das belegen Berichte des Alarme Phone Sahara, das – wie von Cochetel am Dienstag gefordert – Menschen mit Informationen über gefährliche Fluchtrouten in Niger versorgt und eine Notrufnummer für in der Wüste gestrandete Geflüchtete betreibt.

Zuletzt hat das Alarm Phone Sahara einen solchen »Pushback« im Mai aus Algerien dokumentiert. In »Abschiebekonvois« seien die Menschen an der algerisch-nigrischen Grenze zurückgelassen worden, mindestens acht Menschen dabei gestorben.

Ähnliche Verbrechen haben Menschenrechtsorganisationen auch aus Tunesien berichtet. Die Pushbacks in die Wüste erfolgten dabei zum Teil am gleichen Wochenende im Sommer vergangenen Jahres, an dem die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen eine Vereinbarung zur Migrationsabwehr mit der Regierung in Tunis unterzeichnete.

Tunesische Sicherheitsbehörden haben seitdem 8664 Menschen in die Wüste verschleppt – jedenfalls wollen libysche Beamte diese Anzahl von Menschen bis Ende März aufgegriffen haben. Mindestens 29 Tote soll es dabei gegeben haben, meldeten Recherchegruppen internationaler Medien kürzlich aus dem tunesisch-libyschen Grenzgebiet.

»Bei den Aktionen handelt es sich nicht um Einzelfälle, sondern ein System. In Tunesien, Marokko und Mauretanien werden Tausende Menschen mit schwarzer Hautfarbe festgesetzt, in Wüstenregionen verschleppt und ausgesetzt«, schreibt dazu der »Spiegel«, der an der Recherche beteiligt war. So habe sich Europas Grenzsicherung faktisch verschoben: »Für Menschen aus Subsahara-Afrika beginnt sie in Wahrheit oft nicht mehr im spanischen Melilla oder auf Lampedusa in Italien – sondern weiter südlich, am Rande der Sahara.«

Die meisten Menschen suchen aber neue Bleiben in der Nähe ihrer Heimatländer und seien nicht auf dem Weg nach Europa, betonte der UNCHR-Chef in Genf. Drei Viertel der gut 108 Millionen Zwangsvertriebenen weltweit lebten in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen.

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