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Mercedes Sosa: Eine Biografie, die keine ist

Vom Schreibenwollen und vom Schreibenmüssen: Eine Dänin erklärt sich zu einer »Mercedes-Sosa-Botschafterin in der ganzen Welt«

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Foto von Mercedes Sosa in der Ausstellung »Mercedes Sosa. Un pueblo en mi voz« 2011 in Buenos Aires.
Ein Foto von Mercedes Sosa in der Ausstellung »Mercedes Sosa. Un pueblo en mi voz« 2011 in Buenos Aires.

Nabelschauen in der Literatur oder was manche dafür ausgeben, sind Legion. Besuchte man etwa früher die Mainzer Minipressen-Messe, so fanden sich dort durchaus interessante Handpressenverlage, Buchdruckkunst eben. Finanziert wurde das Ganze aber wohl weitgehend durch die Egomanien der ausstellenden Fastaufschreiber, die es wie Sand am Meer gab, und von deren Konsumenten. Man verstand sich gut. Schulterklopforgien für Belanglosigkeiten waren die Regel. Diese Art von Missverständnis existiert, man glaubt es kaum, bis heute.

Kürzlich ist der Schmöker »Mercedes Sosa – Die Stimme der Hoffnung. Eine Begegnung, die mein Leben veränderte« erschienen, verfasst von der in Bodrum, Türkei, lebenden Dänin Anette Christensen. Über die argentinische Liedermacherin Mercedes Sosa (1935–2009) sind im deutschsprachigen Raum zahlreiche spannende Werke publiziert worden, die meisten kaum noch zu bekommen. Eine aktualisierte Biografie ist notwendig und wäre spannend.

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Das Buch beginnt mit Danksagungen, so könnte es meinetwegen enden. Christensen bedankt sich beispielsweise bei ihren »Investoren«, die es ihr »ermöglichten, mit erstklassigen Redakteuren zusammenzuarbeiten«. Christensen hat Sosa weder getroffen noch überhaupt gekannt. »Ich hörte zum ersten Mal von Mercedes Sosa, als ihr Tod in den Nachrichten verkündet wurde.« Und nun, nachdem sie »über Mercedes Sosa mehr als 7000 Stunden recherchiert« habe, sei Christensen »eine anerkannte Mercedes-Sosa-Botschafterin in der ganzen Welt«, heißt es im Waschzettel zu diesem Buch. Doch weder war Christensen in Lateinamerika noch hat sie spanischsprachige Quellen genutzt. Stattdessen hat sie in der toten Mercedes Sosa eine Art Ersatzmutter entdeckt, mit deren Hilfe sie nach mehreren Traumata ihr Leben nun besser meistern will. Dabei beruft sie sich auf »Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie«.

Was sie im ersten Teil des Buches dann doch über Mercedes Sosa zusammenzimmert, ist unreflektiertes Nacherzählen, unkoordiniert und extrem lückenhaft. Dafür legt die Dänin ein psychologisches Profil der Volkssängerin an, stülpt es über die Tote und zieht daraus ihre Schlüsse. Das sind sehr armutsromantisierende Interpretationen ihrer Texte, Christensen geht von einer »Mentalität der Armut« aus.

Sie führt an, das Mercedes Sosa in die Kommunistische Partei eingetreten sei, aber kurz darauf auch wieder aus. In einem Interview mit dem argentinischen Schriftsteller Martín Caparrós, um das Millenium herum, bemerkte Sosa: »Ich trat 64, 65 in die KP ein und 86, 87 wieder aus. Ich weiß nicht, ob ich in Russland Kommunistin gewesen wäre. Für uns war das eine Schwärmerei, in Russland? Keine Ahnung ...« Sosa begann in einer Epoche mit dem Singen, als die meisten Künstler und Intellektuellen links waren. Unter den »folkloristas« gab es einen kommunistischen Nukleus, der federführend war: César Isella, Armando Tejada Gómez und Horacio Guarany. Sie brauchte keinen Lenin, um zu kapieren, wo das Unrecht war. Sosa glaubte nicht an den bewaffneten Kampf.

Wenn Christensen ihr Schaffen in einen geschichtlichen Kontext, den argentinischen der vergangenen Dekaden, zu rücken versucht, wird es abenteuerlich. Weder erwähnt sie das »Massaker von Ezeiza« (1973), bei dem rechte Peronisten linke Peronisten bei der Rückkehr Peróns in einen Hinterhalt lockten, noch den »Rodrigazo« (1975), einen brutalen Angriff auf die Reallöhne der 1976 in den Militärputsch mündete, noch die Fussball-WM 1978. Wer das nicht versteht und ausblendet, versteht Argentinien nicht.

Bei Christensen gibt viele schwerwiegende Fehler: Tucumán ist kein »Staat«, sondern eine Provinz und La Plata ist kein »Ferienort«. Der Sommerabend 1983 war ein Winterabend. Das Viertel »Banjo Flores« in Baires heisst »Bajo Flores«, die Grenzstadt zu Bolivien nicht »La Quack«, sondern »La Quiaca«. Der Sänger Jorge Cafrune ist nicht Jorge Carne (Fleisch). Ein Lied von Victor Heredia wird als »Ottava Centimos« angegeben, es heisst »Todavía cantamos« (Wir singen immer noch), sein wichtiges Lied gegen die Völkermörder heißt nicht »Inzensier«, sondern »Razón de vivir« (Grund zu Leben). Und Sosas Musikerfreund aus Brasilien heißt nicht Chico Baroque, sondern Buarque.

Allen leidgeplagten Seelen, die sich gerne am Ungemach anderer laben, empfehle ich jedoch den zweiten Teil des Buches, da geht es nur noch um Anette Christensen und wie sie die Anettewelt rettet. Garantiert ohne Schießgewehr. Der Lernende stirbt zuletzt.

Anette Christensen: Mercedes Sosa – Die Stimme der Hoffnung. Eine Begegnung, die mein Leben änderte. Übersetzt von Arno Maierbrugger, BoD, 274 S., br., 20 €.

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