Erinnern mit Games: »Eine andere Art der Vermittlung«

Die Game Designerin Mona Brandt über den Reiz von Videospielen, digitale Erinnerungskultur und Klischees ihrer Branche

Als Game Designerin trägt Mona Brandt dazu bei historische Leerstellen in Videospielen zu schließen.
Als Game Designerin trägt Mona Brandt dazu bei historische Leerstellen in Videospielen zu schließen.

Frau Brandt, was ist das schlimmste Spiel, das Sie jemals gespielt haben?

Oh, ich hasse »Mario Party«. Das ist so ein Spiel, das bei Zusammenkünften mit Freunden ganz oft vorgeschlagen wird, weil man es super zu viert spielen kann. Das Spiel basiert auf einem Zufallsfaktor, der mich in den Wahnsinn treibt. Du kannst dich noch so gut anstellen – am Ende wird wild gewürfelt und dann kriegt der, der eigentlich Drittplatzierter wird, doch noch irgendwie die Goldene Ananas, hundert Punkte und landet auf dem ersten Platz. Das macht mich rasend. Ich weiß, dass viele Leute großen Spaß daran haben, aber meins ist es nicht.

Gibt es auch positive Beispiele?

Da könnte ich eine ganze Sammlung nennen. »Hollow Night« oder »Horizon Zero Dawn« zum Beispiel. Ersteres ist ein handgezeichnetes 2D-Spiel, ein ziemlich anspruchsvoller Indie-Titel mit einer wunderschönen Atmosphäre. Mir persönlich macht das riesigen Spaß. Letzteres hingegen ist eines der ganz großen Franchises aus den letzten Jahren. Bei dem gefällt mir das Worldbuilding: eine postapokalyptische Welt, die von maschinenartigen Dinosauriern bevölkert wird.

Interview

Mona Brandt ist Lead Game Designerin beim Berliner Spieleentwickler Paintbucket Games. Sie studierte an der Filmuniversität Babelsberg und war Projektleiterin der Initiative »Erinnern mit Games« der Stiftung Digitale Spielekultur.

Sie arbeiten bei einem Studio, das unter anderem für die Entwicklung sogenannter Serious Games bekannt ist.

Jein. Wir machen Spiele, die man gut im Bildungskontext einsetzen kann, die gleichzeitig aber auch Spaß machen sollen. Die Bezeichnung Serious Games ist nämlich nicht ganz unumstritten.

Warum?

Dieses Label ist immer ein bisschen schwierig, weil Serious Games das Problem haben, dass sie häufig keinen Spaß machen (lacht). Und das ist explizit das, was wir nicht wollen. Unser Interesse gilt in erster Linie Spielen, die Spaß machen, die Spieler*innen aber gleichzeitig in bestimmte Situationen versetzen und dadurch über Sachen aufklären, die sie anderswo vielleicht nicht mitbekommen würden.

Gelingt Ihnen das?

Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Unser erstes Spiel »Through the Darkest of Times« spielt in der NS-Zeit und es gilt darin, zivilen Widerstand in Berlin zu organisieren. Das Spiel, an dem wir gerade sitzen, knüpft ein bisschen daran an. »The Darkest Files« spielt Ende der 50er und es geht darum, als Staatsanwältin Naziverbrechen vor Gericht zu bringen. Wie muss man sich das vorstellen? Es ist ein Detektivspiel. Die Spielerinnen müssen Zeuginnen und Verdächtige vernehmen, Akten durchsuchen, herausfinden, was interessante und relevante Informationen sind, diese kombinieren und am Ende die mutmaßlichen Täterinnen vor Gericht stellen.

Sachverhalte recherchieren, Zeug*innen befragen und Täter*innen verurteilen klingt erst einmal weniger spannend, als in einem Ego-Shooter irgendwelche Zweite-Weltkriegs-Schlachten nachzuspielen.

Auch bei Videospielen sind die Geschmäcker sehr verschieden. Viele können mit Kriegsspielen nichts anfangen, finden es aber spannend, Verbrechen aufzuklären. Uns geht es darüber hinaus aber um etwas anderes: Der Zweite Weltkrieg ist das beliebteste historische Setting für Videospiele und die überwältigende Mehrheit davon sind Ego-Shooter. Dadurch beschränken wir uns in Videospielen auf eine sehr einseitige, exklusiv soldatische Perspektive, in der Krieg eigentlich nur Männer an der Front betrifft. Besonders unter den Zweite-Weltkriegs-Shootern gibt es einige, die versuchen, den Anschein historischer Korrektheit zu erwecken – und gleichzeitig beispielsweise den Holocaust nicht einmal erwähnen. Das kann das Geschichtsverständnis von Spielenden erheblich beeinflussen, besonders wenn der Zugang zu erinnerungskultureller Aufklärung anderweitig fehlt. Das ist eine Leerstelle in Videospielen, die wir zu schließen helfen möchten.

Bei wem kommt das an?

Die Leute, die gerne klassische Shooter spielen, sind ein ganz anderes Publikum als jene, die sich für unsere Spiele interessieren. »The Darkest Files« spricht vor allem Fans von Rätsel- und Detektivspielen an. Darüber hinaus scheint das Spiel besonders bei weiblichen Spielerinnen gut anzukommen, womöglich weil unser Spiel wahre Verbrechen verhandelt und True Crime großen Anklang bei der Zielgruppe findet.

Können Videospiele bei der Vermittlung historischen Wissens einen Mehrwert haben?

Ja, definitiv. Es gibt mittlerweile immer mehr Schulen, Museen und Gedenkstätten, die digitale Spiele erfolgreich für die Vermittlung nutzen. Neben der Frage, ob Videospiele das generell können, dreht sich der Diskurs allerdings oft darum, ob sie es überhaupt sollten. Auch das beantworte ich mit einem klaren Ja. Es gibt das Zitat: »Wenn du Geschichte nur aus Videospielen lernst, dann hatten die Nazis zwar die coolsten Panzer, aber du weißt überhaupt nicht, warum sie scheiße sind.« Gerade für die jüngeren Generationen sind Games das prägende Medium, in Deutschland setzt die Branche mehr als die Musik- und Filmbranche zusammen um. Es ist ein Problem, wenn man dem gesamten Medium die Fähigkeit abspricht, sich auch mit ernsthaften Themen auseinandersetzen zu können. Nicht zuletzt sollte man bedenken, dass es natürlich auch rechte Gruppen gibt, die Games verstärkt für sich nutzen. Wenn wir Videospiele als erinnerungskulturelles Medium vernachlässigen, ermöglichen wir es rechten Narrativen, das Feld zu dominieren – und das gilt es meiner Meinung nach unbedingt zu verhindern.

Wie kann eine solche Auseinandersetzung aussehen?

Etwa indem ein Spiel einen vor moralisch herausfordernde Entscheidungen stellt, denen man in der Regel nicht ausgeliefert ist. In Spielen muss ich laufend Situationen abwägen, Entscheidungen treffen und werde danach unmittelbar mit deren Konsequenzen konfrontiert. Das ermöglicht eine andere Art historischer Vermittlung, als wir sie sonst gewohnt sind. Und zwar eine, die Spieler*innen vor eine Wahl stellt, bei der es im Zweifelsfall kein Richtig oder Falsch gibt, weil beide Optionen einfach furchtbar sind.

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Haben Sie ein Beispiel?

In unserem ersten Spiel gibt es immer wieder narrative Passagen. Es ist 1933, als Spieler*in fährt man mit dem Fahrrad über den Alexanderplatz und sieht, dass da ein paar Leute von der SA stehen, die einen älteren jüdischen Mann schikanieren. Es gibt zwei Möglichkeiten zu handeln: entweder dazwischengehen und Zivilcourage zeigen, oder weiterradeln. Entscheidet man sich für die Intervention, läuft man damit aber Gefahr, selbst aufzufliegen und damit noch seine gesamte Widerstandstruppe in Gefahr zu bringen. Hier treten also Moralvorstellung und persönliches Spielziel in Konflikt und zwingen einen, einen Moment innezuhalten und zu refklektieren. Natürlich sollten Spiele nicht den Eindruck vermitteln, dass sie abbilden, wie es wirklich gewesen ist. Dieser Eindruck darf auf keinen Fall entstehen. Aber ich glaube, dass sich darüber ein gewisses Bewusstsein schaffen lässt.

In Deutschland spielen 35,4 Millionen Menschen Videospiele, über alle Altersgrenzen hinweg und nahezu paritätisch verteilt. Ist das auf der Entwickler*innenseite auch so?

Mittlerweile haben wir uns von dem Klischee einer reinen Männerdomäne ein wenig wegbewegen können. Die Verteilung ist paritätischer als früher, aber immer noch sehr unausgeglichen. Fasst man die Games-Branche als Ganzes, dürfte der Anteil von Frauen und nichtbinären Personen bei etwa 30 Prozent liegen. Das klingt erstmal vielversprechend, aber eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass das zu kurz greift: Schaut man, wer die Entscheidungsträger*innen in Games-Produktionen sind, die maßgeblich Einfluss auf die Gestaltung des Spiels haben, sind dies immer noch zu 87 Prozent Männer, 92 Prozent von ihnen sind weiß. Darüber hinaus gibt es bestimmte Jobs, die einfach immer noch sehr klar unterschiedlich verteilt sind. In den Art-relevanten Berufen ist die Anzahl von Frauen oft deutlich höher als zum Beispiel in der Programmierung oder im Game Design, das ich mache.

Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Auch wenn der Name etwas anderes vermuten lässt, hat Game Design wenig mit visuellem Design zu tun. Früher hat man uns so ein bisschen mit Drehbuch-Autor*innen verglichen, heute würde man eher Regisseur*in sagen – oder irgendwo dazwischen. Im Grunde beschreibt die Bezeichnung die Gestaltung der Spielerfahrung und alles, was dazu gehört: vom Konzept über die Mechaniken und das grobe Narrativ bis hin zu der Frage, wie das Spiel tatsächlich funktionieren soll. In unserem speziellen Fall zählt auch viel historische Recherche dazu und die Arbeit, sich auf der Grundlage interessante Rätsel zu überlegen. Wann können Spielende welche Hinweise erhalten, wie können sie diese nach welchen Regeln einsetzen und wann gilt das Spiel als gewonnen oder verloren? Das alles fällt in den Bereich Game Design.

Woher kommt Ihre Faszination für Videospiele?

Spiele begleiten mich schon mein ganzes Leben, egal ob digital oder analog. Mit meiner Familie haben wir früher immer Karten gespielt. Und auch heute machen wir das noch. Mit sieben Jahren habe ich dann meinen ersten Gameboy bekommen und seitdem hat mich die Begeisterung irgendwie nie wieder losgelassen. Trotzdem hat es sehr lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass das tatsächlich auch ein Job ist, den ich machen kann.

Was hat Sie zum Umdenken gebracht?

Ich glaube, ich habe irgendwann einfach ein bisschen drauf geschissen, dass da nur Männer in diesem Bereich gearbeitet haben (lacht). Aber weil ich vorher schlichtweg keine Game Designerin kannte, bin ich auch nie auf die Idee gekommen, dass das auch etwas für mich sein könnte.

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