Kommunalwahlen: Die Walters im Wahlkampf

Die Linke von Eberswalde ist ein Stück Familiensache

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Sebastian Walter und seine Frau Katharina 2019 nach der Stimmabgabe im Wahllokal in der Eberswalder Kita »Sonnenschein«.
Sebastian Walter und seine Frau Katharina 2019 nach der Stimmabgabe im Wahllokal in der Eberswalder Kita »Sonnenschein«.

Vom Hauptbahnhof von Eberswalde braucht man zu Fuß etwas mehr als 30 Minuten zum Zoorestaurant »Brauner Bär«. Es geht nur ein paar Schritte entlang an der breiten Straße, die sich durch die langgestreckte Stadt zieht. Dort fahren die in Deutschland selten gewordenen, aber für Eberswalde immer noch typischen O-Busse mit Strom, den sie wie sonst Straßenbahnen aus Oberleitungen ziehen. Rechts abbiegen und noch mal rechts – und es wird immer grüner und beschaulicher. Vorbei am Werner-Forßmann-Krankenhaus, benannt nach dem Nobelpreisträger, der sich hier in der Stadt 1929 im Selbstversuch einen Herzkatheter legte und damit eine medizinische Pionierleistung vollbrachte, der allerdings auch schon 1932 der NSDAP beitrat. Vorbei an der idyllischen Kleingartenanlage Schwärzetal, zuletzt ein paar Hundert Meter durch ein Waldstück und dann ist man am Ziel.

Vor dem Restaurant »Brauner Bär« parkt ein Transporter, an dem ein großes Bild von Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter prangt. Im Restaurant spricht Walter im Rahmen seiner Kneipentour am Donnerstagabend mit allen über Politik, die es interessiert. Konkret sind das heute 23 Einwohner von Eberswalde und umliegenden Orten, nicht mitgerechnet die zwei Polizisten, die sich zum Schutz der Veranstaltung am Eingang postieren. Denn vor der Kommunal- und Europawahl am 9. Juni und der Landtagswahl am 22. September sind in Brandenburg nicht allein rund 1000 Plakate aller Parteien heruntergerissen, sondern auch Politiker bedrängt und Wahlkämpfer tätlich angegriffen worden.

Walter ist 2019 erstmals in den Landtag eingezogen und gleich Fraktionsvorsitzender geworden. Er wurde 2019 auch Stadtverordneter in Eberswalde und dort ebenfalls sofort Linksfraktionschef. Fünf Jahre später muss er sich nun erneut beweisen: am 22. September als Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl und vorher an diesem Sonntag bei der Kommunalwahl. Er kandidiert in einem der beiden Eberswalder Wahlkreise auf Listenplatz 1 für die Stadtverordnetenversammlung – zusätzlich übrigens noch für den Kreistag Barnim.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Gleich am Bahnhof und auf dem Weg bis zum Zoo hängen etliche Plakate, auf denen der Name Walter steht. Aber darauf ist nicht der 34 Jahre alte Sebastian Walter zu sehen, sondern die 33-jährige Lehrerin Katharina Walter – seine Frau. Sie gehört ebenfalls zur Linksfraktion im Stadtparlament und tritt in dem anderen Wahlkreis von Eberswalde auf Listenplatz eins an. Katharina trat der Linken 2016 bei, deren Landesvorsitzender ihr Mann Sebastian seit 2022 nun auch noch ist.

Katharina Walter bereichert den Wahlkampf mit der Erkenntnis: »Groß denken und im Kleinen anfangen. So funktioniert Kommunalpolitik.« Und mit der schönen Maxime von Rosa Luxemburg: »Sieh, dass du Mensch bleibst. Mensch sein ist vor allem die Hauptsache. Und das heißt, fest, klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.«

Die jungen Eltern – sie haben einen zweieinhalb Jahre alten Sohn – sind unter den fünf Stadtverordneten der aktuellen Linksfraktion die jüngsten. Aber das könnte in der neuen Linksfraktion anders werden.

Insgesamt 31 Kandidaten nominierte die Partei diesmal. So viele waren es seit 1990 noch nie in Eberswalde. Es sind erfahrene Leute dabei: der 67-jährige Rechtanwalt Volker Passoke, die 63-jährige Kinderkrankenschwester Sabine Büschel und die 70-jährige Ingenieurin Irene Kersten, die alle drei schon Stadtverordnete sind. Der älteste Kandidat ist der 72 Jahre alte Rentner Horst Weingart, der Lehrer war. Aber darüber hinaus nominierte die Linke auch viele junge und einige sehr junge Kandidaten, etwa Jasmin Kurzhals, die 22 Jahre alt ist und eine Ausbildung in der Pflege absolviert, und Leo Sattler, der mit seinen 20 Jahren an der hiesigen Hochschule für nachhaltige Entwicklung Ökolandbau und Vermarktung studiert.

Jasmin Kurzhals ist genauso hier geboren und aufgewachsen wie Sebastian Walter. Dagegen ist Maximilian Jakob, 32 Jahre alt und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der schon genannten Hochschule, erst 2023 zugezogen, aber dann gleich kommunalpolitisch als sogenannter sachkundiger Einwohner im Bildungsausschuss des Stadtparlaments aktiv geworden.

Fünf der 36 Sitze im Stadtparlament eroberte Die Linke bei der Kommunalwahl 2019. »Das, glaube ich, können wir wieder erreichen«, schätzt Sebastian Walter ein. »Und wenn nicht, hat das nichts mit der Arbeit vor Ort zu tun«, unterstreicht er. Doch bei der Kommunalwahl in Brandenburg ist insgesamt die Frage, wie sich der Abwärtstrend der Bundespartei auswirkt und die Abspaltung der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht, die mit dem BSW zu Jahresbeginn eine eigene Partei gründete. Das könnte selbst in den Landkreisen, Städten und Gemeinden eine Rolle spielen, in denen jetzt keine BSW-nahen Wählergruppen antreten und der Linken damit Konkurrenz machen.

Nach anderthalb Stunden Diskussion im Zoorestaurant gibt Sebastian Walter den Gästen am Donnerstagabend als sein Schlusswort noch etwas mit auf den Weg: »Wenn Sie Leute treffen, die überlegen, die AfD zu wählen, bestellen Sie denen einen schönen Gruß von mir. Sie sollen sich eine Stunde lang Reden und das Abstimmungsverhalten der AfD im Landtag anschauen. Die stimmen gegen alles, was sinnvoll wäre, und glauben, wenn wir alle abschieben, wird alles gut.« Aber auch ohne Geflüchtete wären die Strom- und Lebensmittelpreise zu hoch und Kitaplätze und bezahlbare Wohnungen knapp, ist Walter überzeugt. Für die Kitaplätze hat er eine Lösung parat: »Dann sparen wir uns vielleicht mal den 101. Leopard-2-Panzer und bauen für das Geld eine Kita.« Das koste ungefähr dasselbe.

Leider gebe die rot-schwarz-grüne Landesregierung den Kommunen inzwischen gar keine Zuschüsse mehr für den Bau dringend benötigter Kindertagesstätten, bedauert der Oppositionspolitiker. Für den Bau von Schulen gebe es noch ein Förderprogramm. Dafür seien jedoch nur 56 Millionen Euro eingeplant, während zahlreiche Kommunen im vergangenen Jahr zusammen 750 Millionen Euro beantragt hatten. Im einzelnen Fall könnten die Kommunen statt der begehrten vier Millionen Euro nur 50 000 Euro erhalten. Das reiche natürlich nicht aus. Viele stünden mit fertigen Bauplänen in den Startlöchern, könnten aber nicht anfangen, weil sie die Finanzierung nicht allein gestemmt bekommen.

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