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- Tesla-Streik in Schweden
Tesla: »Ein Kampf für das Recht auf Tarifverträge in ganz Europa«
Gewerkschafter Arturo Vasquez über die Streiks bei Tesla in Schweden und internationale Solidarität
Seit sieben Monaten wird bei den Servicecentern des US-Autobauers Tesla in Schweden für einen Tarifvertrag für die rund 130 Mechaniker gestreikt. Der Konzern stellt sich quer. Haben Sie einen solchen Konflikt schon einmal erlebt?
Wir sehen derzeit den längsten Streik der schwedischen Geschichte. Man müsste bis zum Metallerstreik von 1945 zurückschauen, als 120 000 Arbeiter für fünf Monate die Arbeit niederlegten. Wir hatten natürlich schon amerikanische Unternehmen in Schweden, aber wir sind nie an den Punkt gekommen, dass für einen Tarifvertrag gestreikt werden musste.
Wie kam es zu den derzeitigen Ausständen?
Wir versuchen seit 2018, Tesla-Beschäftigte zu organisieren. Die ganze Zeit über machte das Unternehmen Stimmung gegen uns. Von Aktiven vor Ort wissen wir, dass im Zuge unserer jüngsten Organisierungswelle im April vergangenen Jahres nach jedem Besuch der Gewerkschaft in den Betrieben das Management kam und den Mitarbeitern mitteilte, dass ihre Bedingungen besser seien als ein Tarifvertrag. Und dass sie im Falle eines Streiks keinen Urlaub oder Boni erhalten würden. Auch machte das Management deutlich, dass Tesla keinen Tarifvertrag abschließen werde. Als letztes Mittel haben wir dann im Oktober beschlossen zu streiken.
Arturo Vasquez Sandoval ist Mitglied der schwedischen Linkspartei (Vänsterpartiet) und lokaler Ombudsmann der Industriegewerkschaft IF Metall in Stockholm, wo Tesla drei Servicecenter betreibt.
Mittlerweile unterstützen weitere Gewerkschaften durch Solidaritätsaktionen den Streik, auch aus Ländern wie Finnland und Dänemark. Wie sieht das aus und wie hat Tesla seitdem reagiert?
Mehr als zehn Gewerkschaften unterstützen den Arbeitskampf, was Ausweichhandlungen für Tesla schwerer macht. Zum Beispiel blockiert die Transportarbeitergewerkschaft vier Häfen, die Hafenarbeitergewerkschaft verlädt keine Teslas mehr. Es werden die Reinigung von Tesla-Betrieben und die Auslieferung von Post bestreikt. Wir sehen, dass Tesla auf ausländische oder tariffreie Unternehmen ausweicht. Auch scheint man es dort gewohnt zu sein, alles und jeden zu verklagen, sogar den Staat. Für Schweden ist das ein Novum.
Wie erklären sie sich das derzeitige Ausmaß der Solidarität?
Einerseits ist Tesla ein spezielles Unternehmen, mit einem Chef, der es sich zur Herzensangelegenheit gemacht hat, niemals einen Tarifvertrag zu unterzeichnen. Das war offensichtlich, weswegen wir uns von Anfang an mit unseren Kollegen anderer Gewerkschaften abgestimmt haben. Im derzeitigen Konflikt geht es hauptsächlich um zwei grundlegende Aspekte: erstens um das Recht der Arbeiter, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Es ist in Schweden gesetzlich verboten, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmer schikaniert, weil sie einen Tarifvertrag haben wollen. Aber das ist etwas, was Tesla gelinde gesagt nicht so genau nimmt. Das Zweite, und deshalb unterstützen uns alle Gewerkschaften, ist der Kampf um die Existenz des skandinavischen Modells, das darauf fußt, dass ausschließlich die Tarifpartner die Arbeitsbedingungen aushandeln. Wir haben in Schweden Arbeitgeberverbände und politische Parteien, die das Arbeitsrecht zu ihren Gunsten ändern wollen. Für sie ist Tesla der Rammbock. Wir wissen also, dass, wenn wir diesen Kampf verlieren, nicht nur Tesla, sondern auch die Arbeitgeber sagen werden, dass wir keine Tarifverträge brauchen.
Seit 2022 regieren die Konservativen in einer von den rechtsradikalen Schwedendemokraten unterstützten Minderheitsregierung. Wie wirkt sich das auf Arbeitskämpfe aus?
Bisher wird betont, die Akteure auf dem Arbeitsmarkt müssten zusammenkommen und eine Lösung finden. Von einigen Parteien hört man aber seit einigen Jahren auch, die Gewerkschaften hätten zu viel Macht, wobei insbesondere das Ausmaß von Solidaritätsstreiks im Fokus steht. Es ist also ein zweischneidiges Schwert und bei weiteren Zugewinnen der Rechten wird das sicherlich eine Angriffsfläche sein.
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Zurzeit arbeiten noch rund 90 Prozent der schwedischen Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder hat allerdings abgenommen, insbesondere migrantische Arbeitnehmer werden schlechter erreicht. Wird das schwedische Modell nicht auch gefährdet, wenn die Gewerkschaften nicht aktiver werden?
Ich denke, es ist vor allem eine Frage von Aufklärung. Wenn Migranten nach Schweden kommen, müssen wir sie besser über die Rechte informieren, die sie haben, aber auch darüber, warum es diese Rechte hier gibt. Und warum es wichtig ist, eine Bewegung zu haben, damit diese Rechte auch in Zukunft bestehen und besser werden. Aber ich denke, wir müssen einen anderen Weg finden, um diese Menschen systematischer zu erreichen, bevor sie hier ankommen. Ein weiteres Problem, und das zeigt sich auch bei Tesla, ist die Nutzung von Streikbrechern über Arbeitnehmerentsendungen aus anderen EU-Ländern. Das stellt unser Modell auf die Probe.
Könnte dies nicht durch einen gesetzlichen Mindestlohn behoben werden?
Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg für uns ist.
Sie haben jüngst bei einem »Ratschlag« der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Deutschland mit Kollegen von der IG Metall gesprochen, die hier ebenfalls Schwierigkeiten haben, Tesla zu Verhandlungen zu bewegen. Was verbindet die Kämpfe und wie kann die gegenseitige Unterstützung gestärkt werden?
Wir kämpfen nicht nur für das skandinavische Modell. Es ist ein Kampf für das Recht auf Tarifverträge für Arbeiter in ganz Europa. Falls wir verlieren, würde das ein Erdbeben für den Rest des Kontinents bedeuten. Glauben Sie, dass es für die IG Metall leichter wird, einen Tarifvertrag für das Berliner Werk zu unterzeichnen, wenn wir den Kampf in Schweden verlieren? Ein Vorschlag, den ich in Deutschland vorgebracht habe, ist, dass wir ein Netzwerk bilden müssen, damit wir direkt miteinander reden können. Wir müssen eine Verbindung zwischen den Beschäftigten in Berlin und in Schweden herstellen, damit sie sehen, dass sie ähnliche Probleme haben und anfangen können, einander zu unterstützen. Wir werden als Gewerkschaft dabei sein und helfen.
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