Mehr als ein blaues Auge

Lausitzkonferenz der Gewerkschaft steht unter dem Schock der AfD-Wahlsiege

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Etliche sind heruntergerissen und zerfetzt, viele Wahlplakate hängen aber noch in den Straßen von Cottbus. Für die Plakate abfotografiert, lächeln die Kandidaten so gewinnend, wie es ihnen nur möglich ist. Für viele dürfte das Ergebnis der Auszählung von Sonntagabend eine Enttäuschung gewesen sein – nicht aber für die AfD. Die verbesserte sich von 22,3 auf 29,2 Prozent. Zum Vergleich: Die SPD von Oberbürgermeister Tobias Schick erzielte 19,6 Prozent. Er werde mit jedem zusammenarbeiten, der sich der Sacharbeit widmen wolle, kündigt Schick am Mittwoch an. Er sagt das im Gründerzentrum Startblock B2 bei einer Lausitzkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Dass die AfD gewinnt, damit war zu rechnen. Wie hoch dieser Sieg ausgefallen ist, das hat dann doch schockiert. Im Landkreis Spree-Neiße, der Cottbus umschließt, schoss die vom Brandenburger Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD von 26,6 auf 38,4 Prozent hoch. Drüben im sächsischen Teil der Lausitz war am Sonntag ebenfalls Kommunalwahl. Dort überschritt die AfD sogar die Marke von 40 Prozent.

»Das muss man erst einmal verdauen«, gesteht Tobias Schick. »Wer immer noch denkt, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen, der irrt!« Dabei wäre es gerade jetzt darauf angekommen, Weltoffenheit zu demonstrieren. Im Lausitzer Revier soll das letzte Braunkohlekraftwerk 2038 abgeschaltet werden. Es braucht andere Arbeitsplätze, und mit den neuen Hallen des Bahnwerks in Cottbus sind auch schon welche da. Weitere Jobs entstehen bei der Umwandlung des kommunalen Carl-Thiem-Klinikums in eine Universitätsklinik.

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Doch die benötigten Industriemechaniker und Medizinprofessoren müssen zumindest zum Teil genauso aus dem In- und Ausland angelockt werden wie Investoren. Viele überlegen jetzt, ob sie überhaupt willkommen sind oder sich nicht lieber anders orientieren sollen, berichtet Oberbürgermeister Schick. Ja, sie seien 70 Prozent der Bevölkerung willkommen, beteuert er. Die demokratischen Kräfte müssten zusammenhalten und die Probleme der Einwohner von Cottbus gemeinsam lösen.

Es war nicht die letzte Abstimmung dieses Jahr. Im September folgen Landtagswahlen erst in Sachsen und dann in Brandenburg. »Wir haben ein Superwahljahr. Ob das so super wird?« Daniela Kolbe vom DGB Sachsen hat berechtigte Zweifel. »Die Verunsicherung ist mit Händen zu greifen, auch die Wut.« Immerhin sei ein Vorziehen des Kohleausstiegs auf das Jahr 2030 vom Tisch. Das beruhige erst einmal, sagt Kolbe.

Als Oberbürgermeister Schick versichert, dass neue Jobs kommen, bevor die alten Jobs 2038 verschwinden, betont er extra die Jahreszahl. Der mühsam ausgehandelte Kohlekompromiss dürfe nicht wieder infrage gestellt werden, findet auch die DGB-Bundesvorsitzende Yasmin Fahimi, die auf einem großen Bildschirm live zur Konferenz zugeschaltet wird. »Eine weitere Beschleunigung ist nicht nötig, sondern nur schädlich«, meint Fahimi. Und sie warnt: »Es kann nicht sein, dass wir Menschen, die Jahre und Jahrzehnte stolz in ihrem Beruf gearbeitet haben, jetzt einfach wie auf dem Schachbrett in eine andere x-beliebige Tätigkeit schieben.«

Viele, die in den Tagebauen und Kraftwerken arbeiten, werden bis 2038 in Rente gehen, aber nicht alle bis 2030. Sie müssten sich vor dem Ruhestand noch eine neue Beschäftigung suchen, wenn der Kohleausstieg vorgezogen wird. Damit hatten sie nicht rechnen können. Aber es gibt auch junge Leute bei der Lausitzer Energie AG (Leag). Linda Rudolph zum Beispiel ist 25 Jahre alt und Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung des Energiekonzerns. »Ich bin nicht wie andere in die Großstadt abgewandert, sondern in der Heimat geblieben«, erzählt Rudolph im Startblock B2. Chris Lehfeld von der Jugendvertretung im Bahnwerk Cottbus ist auch da. Vor Aufregung vergisst er erst, was er sagen wollte. Es fällt ihm aber wieder ein: »Wir fordern als Jugend bezahlbare Wohnungen.«

Am Vormittag ist das der Satz, der den meisten Beifall erhält. Denn dass es inzwischen an Wohnraum mangelt, ist eines der in Cottbus zu lösenden Probleme. DGB-Chefin Fahimi spricht von Veränderungsmüdigkeit und Überforderung. Ostdeutschland habe nach der Wende Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung durchmachen müssen. Fahimi sind die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten bewusst. »Die Konjunktur stagniert«, erinnert sie, versucht aber, Mut zu machen. Sie hält die noch vorhandene Veränderungsbereitschaft für durchaus groß. Es dürfte jedoch nicht sein, dass von einer schönen Zukunft erzählt werde und das Soziale hinten runterfalle. Mit der exremen Rechten werde es keinen sozial gerechten Strukturwandel geben.

Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen fällt für die Lausitz eine Richtungsentscheidung, glaubt Frederik Moch, Leiter des DGB-Projekts Revierwende. Schrumpfende Reallöhne trotz guter Tarifabschlüsse, hohe Energiepreise, auch wenn sie gerade sinken, Pflegenotstand ... Die Gewerkschaften wären dazu berufen, in den Betrieben die Unzufriedenheit zu kanalisieren, denkt Moch. Die AfD wolle keinen Mindestlohn, keine Tarifbindung. »Wer sein Kreuz da macht, wählt als Beschäftigter leider seine Rechte ab.«

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