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Transgender: Neues Selbstbestimmungsgesetz ab 1. November 2024
Die Änderung von Geschlechtseinträgen und Vornamen wird erheblich erleichtert
Viele Jahre haben Betroffene und ihre Unterstützer dafür gekämpft – nun wird das umstrittene Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980 tatsächlich abgeschafft. Die Ampel-Koalition hat stattdessen mit einem neuen Selbstbestimmungsgesetz dafür gesorgt, dass eine einfache Erklärung beim Standesamt ausreicht, um Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern. Betroffene sollen somit auch vor einem ungewollten Outing geschützt werden.
Das Gesetz, für das eine Zustimmung des Bundesrats nicht erforderlich ist, soll planmäßig am 1. November 2024 in Kraft treten. Aber es können bereits ab 1. August Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrages oder des Vornamens beim Standesamt abgegeben werden. Damit würde die im Gesetz vorgeschriebene dreimonatige Anmeldefrist bereits beginnen.
An wen richtet sich das Gesetz?
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Die Neuregelung richtet sich an trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen. Transgeschlechtliche sind Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Als intergeschlechtlich werden Menschen bezeichnet, die körperliche Geschlechtsmerkmale ausweisen, die nicht ausschließlich männlich oder weiblich sind. Unter nicht-binär versteht man Menschen, die sich selbst nicht in die gängige Geschlechtseinteilung in Mann/Frau einordnen.
Welche Regelung galt bisher?
Das aus dem Jahr 1980 stammende Transsexuellengesetz hat viel Leid unter trans Menschen gebracht. So sah es vor, dass Betroffene für eine Änderung des Geschlechts- oder Vornamenseintrages zwei psychologische Gutachten einreichen müssen. Am Ende entschied darüber das zuständige Amtsgericht. Betroffene kritisierten das geltende Verfahren als langwierig, teuer und vor allem entwürdigend und sprachen von einer »psychiatrischen Zwangsbegutachtung«. Aus heutiger Sicht unvorstellbar ist auch, dass sich Betroffene noch vor gut zehn Jahren sterilisieren und vor 15 Jahren scheiden lassen mussten, wenn sie ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollten. Teile der damals geltenden Vorschriften waren inzwischen vom Bundesverfassungsgericht verworfen worden.
Was gilt nunmehr künftig?
Volljährige transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen sollen künftig ihren Geschlechtseintrag und Vornamen per Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern können. Die bisherige Pflicht, eine ärztliche Bescheinigung dafür vorzulegen, fällt weg. Dann können Dokumente wie der Reisepass umgeschrieben werden. Diese verlangte »Erklärung mit Eigenversicherung« muss fortan nicht mit Gutachten flankiert werden und wird nicht gerichtlich überprüft. Sie ist unabhängig davon, inwieweit sich der oder die Betroffene zu geschlechtsangleichenden medizinischen Eingriffen entscheidet. Betroffene müssen lediglich erklären, dass die beantragte Änderung ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht.
Was ist mit Menschen
unter 18 Jahren?
Bei Kindern unter 14 sollen die Eltern die nötige Erklärung beim Standesamt einreichen können. Jugendliche ab 14 können dies selbst tun, allerdings nur mit Einverständnis der Eltern. Gibt es hier innerfamiliäre Konflikte, kann das Familiengericht die Entscheidung darüber treffen. Maßstab ist dabei in jedem Fall das Kindeswohl.
Wie oft kann der Geschlechtseintrag geändert werden?
Und gibt es dafür eine Sperrfrist?
Eine zahlenmäßige Begrenzung ist nicht vorgesehen. Allerdings gibt es eine Sperrfrist von einem Jahr – erst danach ist eine erneute Änderung möglich. »Dies dient dem Übereilungsschutz und soll die Ernsthaftigkeit des Änderungswunsches sicherstellen«, heißt es in dem Gesetz. Für das Inkrafttreten der Änderung des Geschlechtseintrags gilt eine Anmeldefrist von drei Monaten.
Gab es noch entscheidende Änderungen am Gesetzentwurf?
Nach heftigen Debatten sind einige Verschärfungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung eingeflossen. So ist eine Voraussetzung für die Änderung des Eintrages, dass diese drei Monate im Voraus beim zuständigen Standesamt angemeldet werden muss.
Welche Regelungen waren besonders umstritten?
Intensive Debatten gab es in der Frage von Hausrecht und Zugang zu geschützten Räumlichkeiten – also etwa Saunen, Umkleidekabinen, Frauenhäusern und anderen Schutzräumen insbesondere für Frauen. Manche Frauenrechtlerinnen hatten Bedenken geäußert, solche Schutzorte generell auch für Trans-Personen öffnen zu müssen. Das Selbstbestimmungsgesetz lässt das private Hausrecht nun aber unberührt. Dabei gilt aber immer das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierungen verhindern soll. Einer früheren Verabschiedung des neuen Gesetzes standen zuletzt Bedenken aus dem Bundesinnenministerium entgegen. Die Befürchtung: Kriminelle könnten sich den Identitätswechsel zunutze machen und sich auf diese Weise den Strafverfolgungsbehörden entziehen. Dies soll dem Vernehmen nach mit der nun vorgelegten überarbeiteten Fassung des Entwurfs aber vermieden worden sein.
Was sagt die Opposition zu dem neuen Selbstbestimmungsgesetz?
Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht (BSW) lehnte das Gesetz ab und nannte die Verabschiedung »einen schweren gesellschaftspolitischen Fehler, weil das Gesetz viele Menschen in Geschlechtsumwandlungen treiben« werde, »die das dann später bitter bereuten«. Seitens der Unions-Parteien wird befürchtet, dass »Geschlechtseinträge künftig willkürlich geändert werden können«.
»Die Ampel-Fraktionen haben sich mit diesem Gesetz verrannt und schießen über das Ziel hinaus.« Nicht nur der Kinder- und Minderjährigenschutz werde sträflich missachtet. »Die Ampel schafft mit dem Selbstbestimmungsgesetz sogar ein echtes Sicherheitsrisiko, weil junge Menschen zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen geradezu ermutigt werden«, so der Vorwurf.
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