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UN wirft Israel Kriegsverbrechen vor
Menschenrechtsbüro hat sechs Großangriffe der israelischen Armee im Gazastreifen untersucht
Es ist eine Art Déjà-vu-Erlebnis: Zum wiederholten Male werden Anschuldigungen gegen Israel erhoben wegen der Kriegsführung im Gazastreifen. Diesmal kommt die Kritik vom UN-Menschenrechtsbüro, das sechs Großangriffe vom vergangenen Jahr untersucht hat. Beim militärischen Vorgehen gegen die islamistische Hamas missachten die israelischen Soldaten demnach das humanitäre Völkerrecht, das Kriegshandlungen an gewisse internationale Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung knüpft.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, legte einen Bericht vor mit dem vielsagenden Titel »Wahllose und unverhältnismäßige Angriffe während des Konflikts in Gaza«, der von israelischer Seite umgehend zurückgewiesen wurde. Dem Bericht zufolge trägt die israelische Armee nicht genug Sorge, um Zivilisten beim Einsatz präzisionsgelenkter Bomben zu schützen. »Das Gebot, Mittel und Methoden der Kriegsführung so zu wählen, dass zivile Schäden vermieden oder zumindest so gering wie möglich gehalten werden, wurde bei den israelischen Bombardierungen offenbar konsequent verletzt«, erklärte Volker Türk in Genf.
Das UN-Menschenrechtsbüro hat sechs israelische Angriffe zwischen dem 9. Oktober und dem 2. Dezember 2023 im Gazastreifen untersucht. Es geht davon aus, dass dabei Bomben zum Einsatz kamen, die durch Beton dringen und mehrere Etagen eines Gebäudes zerstören können. Damit seien Wohnhäuser, eine Schule, ein Flüchtlingslager und ein Markt angegriffen worden, mindestens 218 Menschen getötet worden. Bei einem Bombenangriff am 2. Dezember habe die Zerstörung einen Kreis von 130 Metern Durchmesser betroffen. Darin seien 15 Wohnhäuser zerstört und 14 weitere beschädigt worden.
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Nach dem humanitären Völkerrecht müssen zivile Einrichtungen bei Angriffen möglichst verschont bleiben. Werden dort Kämpfer vermutet, muss abgewogen werden, ob die Schäden der eingesetzten Mittel nicht größer sein könnten als die erhofften Ziele. Es geht unter anderem um die Prinzipien der Unterscheidung, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit. Diese Prinzipien missachtet die israelische Armeeführung systematisch und zieht sich immer wieder auf die Rechtfertigung zurück, dass die Hamas-Kämpfer sich unter Zivilisten mischten und sich in Wohnhäusern verschanzten.
Doch der UN-Bericht ist an diesem Punkt klar: Selbst, wenn sich einer oder mehrere Terroristen oder Beteiligte an den Massakern in Israel vom 7. und 8. Oktober in einem Gebäude aufhielten, mache dies nicht eine ganze Nachbarschaft zum legitimen Ziel eines Angriffs. In Bezug auf die Bomben sagte der Leiter des UN-Menschenrechtsbüros für die von Israel besetzten Gebiete, Ajith Sunghay, in Genf: »Solche Waffen in einem dicht besiedelten Gebiet wie Gaza einzusetzen, macht es äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Prinzipien einzuhalten. Es ist ratsam, diese Waffen nicht einzusetzen.« Israels Methoden und Mittel hätten die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht gewährleistet, heißt es in dem Bericht. Es könne sich auch um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln.
Der Bericht kritisiert auch bewaffnete palästinensische Gruppen, die Projektile auf Israel abfeuern, die Zivilisten treffen können. Das UN-Büro für Menschenrechte erinnert daran, dass militärisches Material oder Personen nicht in dicht bevölkerten Gebieten stationiert werden sollen.
Auch die Hamas steht wegen mutmaßlicher schwerer Verbrechen im Fokus von UN-Ermittlungen. Mittwoch vergangener Woche stellte eine unabhängige Untersuchungskommission ihren Abschlussbericht zum Massaker vom 7. Oktober vor, der laut der Nachrichtenagentur Reuters auf Interviews mit Opfern und Zeugen, Hunderten von Eingaben, Satellitenbildern, medizinischen Berichten und verifizierten Informationen aus offenen Quellen basiert. In dem 59-Seiten-Bericht stellte die Kommission unter anderem vier Massentötungen in öffentlichen Unterkünften fest, die darauf hindeuten, dass die Kämpfer »ständige operative Anweisungen« hatten. Die Kommission stellte auch »ein Muster sexueller Gewalt« durch bewaffnete palästinensische Gruppen fest, konnte aber Berichte über Vergewaltigungen nicht unabhängig überprüfen. Mit Agenturen
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