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Umgang mit Geflüchteten: Durchmarsch der Hardliner
Ministerpräsidenten für Abschiebungen in Diktaturen. Kanzler Scholz will Modelle für Asylverfahren außerhalb der EU erarbeiten lassen
Der eindringliche Appell von mehr als 300 Initiativen und Nichtregierungsorganisationen an den Bundeskanzler und die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ist offenbar ungehört verhallt. Denn die Beschlüsse und Prüfaufträge der Regierungschefs der Länder vom Donnerstagabend laufen weiter auf extreme Verschärfungen des Asylrechts, eine Verschlechterung der sozialen Lage Geflüchteter, ihre weitere Stigmatisierung und auf fragwürdige Abschiebedeals mit autoritären Regimen hinaus.
In dieselbe Richtung gehen die Aussagen der Innenministerkonferenz (IMK), die sich am Donnerstag und Freitag ebenfalls mit Abschiebungen und der weiteren Eindämmung »irregulärer« Migration befasste. Am Freitag hieß es aus der noch laufenden Zusammenkunft, man sei sich einig, dass Straftäter und »islamistische Gefährder« künftig auch nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden können sollen. Beachtung verdient hier die Verwendung weit gefasster und entsprechend dehnbarer Begriffe. Nach dem von einem Afghanen in Mannheim verübten Messerattentat, in dessen Folge ein Polizist starb, der sich dem Angreifer in den Weg gestellt hatte, hieß es zunächst, es gehe um die Abschiebung »Schwerstkrimineller«.
Auf der MPK taten nur Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) per Protokollnotiz ihre Unzufriedenheit mit den Beschlüssen kund. Sie mahnen darin die Beibehaltung rechtsstaatlicher Standards in der Asylpolitik an und wenden sich gegen die Verlagerung von Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU. Diese wird von den Ministerpräsidenten der Union vehement eingefordert.
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Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprach nach der Zusammenkunft, die Bundesregierung werde die Machbarkeit von Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten prüfen und bis zum Dezember Ergebnisse vorlegen. Es sei »fest vereinbart« worden, dass die Bundesregierung dazu inhaltliche Vorschläge mache, erklärte er. Diese würden der MPK bei ihrem nächsten Treffen am 12. Dezember vorgelegt.
Scholz dämpfte zugleich die Erwartungen an eine Drittstaatenregelung. Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland könne seiner Einschätzung nach dadurch nur um wenige Tausend gesenkt werden. Die Ministerpräsidenten hatten Scholz aufgefordert, »konkrete Modelle« für Verfahren in Dritt- oder Transitländern vorzulegen.
Die Union dringt seit Langem auf eine Regelung, nach der Menschen entweder schon auf ihrem Weg nach Europa in Transitstaaten Asylverfahren durchlaufen oder nach Ankunft in Deutschland in Drittstaaten außerhalb der EU geschickt werden sollen. Die CDU hat dies auch in ihrem im Mai auf einem Parteitag verabschiedeten neuen Grundsatzprogramm als Ziel formuliert.
Zur Debatte steht neben dem britischen »Ruanda-Modell« auch eine Vereinbarung, wie sie Italien mit Albanien für Bootsflüchtlinge geschlossen hat, die im Mittelmeer aufgegriffen werden. Scholz sagte, ein Modell wie von Italien vorgesehen komme angesichts der geografischen Lage Deutschlands so nicht infrage. Das Gleiche gelte für das britische Modell. Bei diesen Ländern gehe es außerdem nur um 3000 beziehungsweise 6000 Betroffene. Experteneinschätzungen zur Machbarkeit des Drittstaatenmodells hatte indes bereits Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf Bitten der Länder eingeholt. Diese wurden auf der MPK diskutiert.
In der Protokollerklärung der rot-rot-grünen Regierungen Thüringens und Bremens zu den Beschlüssen der MPK heißt es unter anderem, die gemeinsame europäische Asylpolitik müsse die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren und Humanität sicherstellen. Und weiter: »Die Verlagerung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten entspricht diesen Anforderungen nicht.« Fluchtursachen müssten bekämpft werden, »anstatt Flüchtlinge in andere Staaten zur Asylprüfung zu verbringen«. Es bleibe eine Illusion, »durch eine Schlechterstellung individueller Geflüchteter die Gesamtsituation verbessern zu wollen«.
Den unionsgeführten Regierungen von Bayern und Sachsen gingen dagegen die Beschlüsse nicht weit genug. Sie legten einen Fünf-Punkte-Plan vor, der unter anderem die Forderung nach einem »Sofort-Arrest« für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder enthält, die nicht abgeschoben werden können.
Bei der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber einigten sich die Länder darauf, die Auszahlung von Bargeld flächendeckend auf 50 Euro pro Monat zu begrenzen. Dort, wo es die Karte bereits gibt, unter anderem in Brandenburg, wird dies bereits praktiziert. Der amtierende Vorsitzende der MPK, Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU), sprach von einem wichtigen Zeichen. Die Bezahlkarte solle ab dem Sommer an den Start gehen, wenn die Ausschreibung für den Dienstleister beendet sein wird. 14 von 16 Bundesländern hatten sich Ende Januar auf ein gemeinsames Vergabeverfahren für die Bezahlkarte geeinigt.
Bayern und das von SPD und Linkspartei regierte Mecklenburg-Vorpommern hatten die Einführung der Bezahlkarte bereits unabhängig beschlossen, inklusive der Ausschreibung. Bremen und Thüringen schlugen in ihrer Protokollerklärung zu den Beschlüssen der MPK wiederum einen »Bargeldkorridor von 50 bis 120 Euro« wegen unterschiedlicher regionaler Voraussetzungen vor. Rheinland-Pfalz wandte sich gegen »eine starre Festlegung« auf 50 Euro.
Scharfe Kritik an dem geringen Bargeldsatz für die Bezahlkarte und an dem Modell insgesamt kam unter anderem der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und von Pro Asyl. Sarah Lincoln von der GFF erklärte im Onlinedienst X, viele Geschäfte akzeptierten die Visakarten nicht, als die die Bezahlkarten konzipiert sind. Geflüchtete könnten durch den geringen Bargeldsatz »lebensnotwendige Dinge gar nicht oder nur völlig überteuert kaufen«. Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, erklärte, die Bezahlkarte sei »staatliches Mobbing für schutzsuchende Menschen«.
Einigkeit gab es zwischen den Länderchefs bei den geplanten Abschiebungen von »Schwerkriminellen« nach Syrien und Afghanistan. Die Länder begrüßten die entsprechende Ankündigung von Scholz als Reaktion auf die Messerattacke von Mannheim. »Bei einer konkreten Umsetzung wird ein enges Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern erforderlich sein«, heißt es im Beschlusspapier. Im Fall von Afghanistan wäre eine Umsetzung indes nur über Verhandlungen mit der Taliban-Regierung oder Vereinbarungen mit den Nachbarländern möglich.
Die 309 Organisationen, die an Scholz und die Länderchefs appelliert hatten, vom Vorhaben einer Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten Abstand zu nehmen, hatten in ihrem offenen Brief unter anderem argumentiert, diese funktionierten in der Praxis nicht. Außerdem seien sie »extrem teuer und stellen eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar«. Die Unterzeichnenden fürchten, dass solche Verfahren »absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen«.
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