- Politik
- Demokratieförderung
Zivilgesellschaft in Sachsen: »Ich kann nur sagen: AfD wirkt!«
Initiativen bekommen Folgen des Rechtsrucks im Freistaat zu spüren
Der Sächsische Flüchtlingsrat sucht Spender. »100 plus X« heißt die am Weltflüchtlingstag am 20. Juni gestartete Aktion, mit der in den knapp zehn Wochen bis zur Landtagswahl im Freistaat eine dreistellige Anzahl an Dauerspendern geworben werden sollen. Mit deren Geld soll ein Mitarbeiter bezahlt werden, dessen Aufgabe es sein werde, »langfristig eine unabhängige Finanzierung von unten« für den seit 30 Jahren bestehenden Verein zu sichern, der unter anderem umfangreiche Beratungsleistungen anbietet.
Bisher gibt es für viele seiner Aktivitäten staatliche Förderung. Die sieht der Flüchtlingsrat allerdings gefährdet. Verwiesen wird zum einen auf die Wahlerfolge der AfD, ohne dass diese freilich beim Namen genannt wird. Die im Freistaat als »gesichert rechtsextremistisch« eingestufte Partei war bei der Kommunalwahl am 9. Juni in allen Kreistagen sowie in den Stadträten von Dresden und Chemnitz stärkste Kraft geworden. Ihr Einfluss auf Entscheidungen über die Förderung von Initiativen und Projekten auf kommunaler Ebene ist damit erheblich gewachsen. Bei der Landtagswahl am 1. September könnte sie Umfragen zufolge stärkste Kraft werden. Damit stünden »Antidemokrat*innen vor realen Machtoptionen«, erklärt der Flüchtlingsrat.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Außerdem wird in Sachsen ohnehin mit einer deutlich rigideren Förderpraxis im Bereich Integration gerechnet. Für das bisherige Verfahren hatte der Rechnungshof des Landes dem zuständigen Sozialministerium im Dezember 2023 ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Die Rede war von einem »in außergewöhnlichem Maße rechtswidrigen Verwaltungshandeln« und intransparenter Mittelvergabe. Die zuständige Ministerin Petra Köpping (SPD) hatte Fehler eingeräumt und die Richtlinie überarbeiten lassen. Der Flüchtlingsrat hält die »Zukunft staatlicher Förderprogramme im Bereich Flucht und Migration« für »ungewiss« und rechnet nach der Landtagswahl mit einem »Kahlschlag« bei der Finanzierung.
Die Folgen werden schon jetzt sichtbar. Im Mai musste der Dachverband Sächsischer Migrant*innenorganisationen (DSM) Insolvenz anmelden. Zuvor hatte die Sächsische Aufbaubank (SAB), die im Auftrag des Ministeriums die Fördergelder vergibt, einen sechsstelligen Betrag für sieben bereits abgewickelte Projekte aus den Jahren 2015 bis 2019 zurückgefordert und zudem ein aktuelles Vorhaben abgelehnt. Begründet wurde das mit »Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Zuwendungsempfängers«. Das Netzwerk Tolerantes Sachsen, dessen Mitglied der DSM ist, äußerte sich »erschüttert und empört« über das, was er als »Abwicklung« und »mittelbar beförderte Insolvenz« bezeichnete. Mit dem entsprechenden Mechanismus könne man »wohl fast jedem Verein den Garaus machen«.
»Das ermöglicht uns, unabhängiger von politischen Mehrheiten und Verhältnissen zu agieren.«
Sächsischer Flüchtlingsrat zum Spendenaufruf
Der Vorgang stieß indes auch auf Beifall – bei der AfD. Deren Finanzexperte André Barth ätzte, das Sozialministerium habe »linke Vereine jahrelang mit Steuergeldern gefüttert«. In dem Zusammenhang sei es zu »Vetternwirtschaft und unrechtmäßigen Fördermittelvergaben« gekommen. Kürzlich hatte die AfD einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Seitdem sei »Schluss mit lustig«, sagte Barth und verwies auf die Insolvenz des DSM sowie eine Überprüfung der Vergabe von Fördermitteln an die Landesarbeitsgemeinschaft politisch-kulturelle Bildung. Auch dort geht es um einen sechsstelligen Betrag. Laut Antwort auf eine AfD-Anfrage im Landtag befinde sich der Fall »in Prüfung«. Das die Arbeitsgemeinschaft das Geld womöglich zurückzahlen muss, sei »erfreulich«, frohlockte Barth: »Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Steuergelder für unsinnige Ideologieprojekte verschwendet werden.«
Eine gewisse Häme sprach auch aus der Reaktion der Partei auf den Spendenaufruf des Flüchtlingsrates. »Ich kann nur sagen: AfD wirkt!«, erklärte die Landtagsabgeordnete Martina Jost und fügte an, man finde »den Ansatz des Flüchtlingsrates gut, auf die Suche nach Spendern zu gehen«. Diejenigen, die »illegale Masseneinwanderung befürworten«, sollten die Kosten aus eigener Tasche bezahlen. Ihre Partei werde »dafür sorgen«, dass dafür künftig kein Steuergeld mehr bereit gestellt werde. Der Flüchtlingsrat indes betont, das Thema Flucht werde »ungeachtet von politischen Mehrheitsverhältnissen in den Parlamenten oder dem gesellschaftlichen Diskurs bestehen bleiben«. Man wolle die eigene kritische Arbeit »unabhängiger von politischen Mehrheiten und Verhältnissen« fortführen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.