Tag-X-Angeklagter auf freiem Fuß

Nach Vorwurf des Mordversuchs: Landgericht hat Bedenken an sicherer Identifizierbarkeit

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Am »Tag X« gab es in Leipzig massive Poizeipräsenz – und gewalttätige Angriffe auf Beamte
Am »Tag X« gab es in Leipzig massive Poizeipräsenz – und gewalttätige Angriffe auf Beamte

Überraschende Wendung im Fall »Benni«: Der 25-Jährige aus Leipzig, den seine Unterstützer so nennen, ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden, in der er seit 5. Januar saß. Erst vergangene Woche hatte die Staatsanwaltschaft Leipzig Anlage gegen ihn beim Landgericht eingereicht. Sie enthält äußerst schwerwiegende Vorwürfe. Dem jungen Mann wird unter anderem zweifacher versuchter Mord zur Last gelegt, weil er am sogenannten Tag X Brandsätze auf Polizeibeamte geworfen haben soll.

Wenige Tage später hob das Gericht den Haftbefehl nun allerdings auf. Man sehe »einen dringenden Tatverdacht nicht als gegeben«, erklärte Gerichtssprecher Johann Jagenlauf auf Anfrage von »nd«. Das Gericht habe »Bedenken gegen eine ausreichend sichere Identifizierung der werfenden Person«. Die Soli-Gruppe #FreeBenni äußerte sich erleichtert: Nach einem halben Jahr Haft habe man den Aktivisten wieder »außerhalb des Gefängnisses in Empfang nehmen« können.

Noch nicht entschieden hat das Gericht nach Angaben seines Sprechers über die Eröffnung eines Hauptverfahrens. In diesem müssten die Vorgänge am 3. Juni 2023 beleuchtet werden. An dem Tag gab es in Leipzig Proteste anlässlich der Urteilsverkündung des sogenannten Antifa-Ost-Prozesses, bei dem Lina E. und drei weitere Antifaschisten in Dresden vor Gericht gestanden hatten. Es gab friedliche Proteste, einen großen Polizeikessel, in dem über 1000 Demonstrierende stundenlang festgesetzt wurden, und auch gewalttätige Angriffen auf Polizeibeamte, unter anderem mit Steinen, Pyrotechnik und Brandsätzen. Zwei davon soll nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft der vermummte und dunkel gekleidete Angeklagte geworfen und dabei »zumindest billigend in Kauf genommen« haben, dass die getroffenen Beamten tödliche Verletzungen erleiden.

Insgesamt erlitten bei den Ereignissen rund um den Alexis-Schumann-Platz 18 Polizisten Verletzungen. Diese Taten werden dem Beschuldigten als gemeinschaftlich begangen zur Last gelegt. Weitere Tatvorwürfe lauten deshalb auf Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung in 18 Fällen, tätlichen Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Beschuldigte hatte sich im Januar den Behörden gestellt, nachdem ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Die Staatsanwaltschaft sah nach ihren Ermittlungen einen »hinreichenden Tatverdacht«, dass der 25-Jährige die Brandsätze geworfen hat. Nach Angaben seiner Unterstützer wurden parallel zur Anklageerhebung die Haftbedingungen »massiv verschärft«. Unter anderem seien der Postverkehr überwacht und Besuche erschwert worden. Die Anklagebehörde hatte vergangene Woche erklärt, das Gericht müsse auch über eine »Anpassung des bestehenden Haftbefehls an die nunmehr vorliegende Anklageschrift« entscheiden.

Die Entscheidung fiel freilich deutlich anders aus als von der Staatsanwaltschaft erwartet. Die Soligruppe sprach von einer »180-Grad-Wende«. Sie geht aber zunächst weiter davon aus, dass es zu einem Prozess kommt, in dem man »unseren Gefährten (...) unterstützen« wolle. Zugleich bezeichneten sie das »massive staatliche Vorgehen gegen Benni« erneut als »sinnbildlich für die Repressionswelle« gegen die linke Bewegung in Leipzig und anderswo.

»Das Gericht hat Bedenken gegen eine ausreichend sichere Identifizierung der werfenden Person.«

Johann Jagenlauf Sprecher Landgericht Leipzig
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und Rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal