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Arbeitslosenzahl steigt trotz Fußball-EM
In der Hauptstadtregion bleibt die erhoffte Belebung der Wirtschaft durch die Europameisterschaft aus
Weniger als drei Monate vor den Landtagswahlen liest Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) aus den jüngsten Zahlen ab, »dass der brandenburgische Arbeitsmarkt stabil ist«.
Was Carina Knie-Nürnberg von der Regionaldirektion der Arbeitsagentur sagt, klingt schon vorsichtiger, aber noch nicht unbedingt besorgniserregend. Allerdings lässt es aufmerken, wenn sie erklärt: »Der Arbeitsmarkt ist weniger dynamisch als üblich um diese Jahreszeit. Die Arbeitslosigkeit hat sich gegenüber dem Mai kaum verändert.«
Tatsächlich müssten die Arbeitslosenzahlen im Juni sinken. Denn so wie es nach dem Winter im Frühjahr normalerweise wieder mehr Bauarbeiter braucht, so werden mit dem Beginn der Urlaubsaison zusätzliche Arbeitskräfte für das Hotel- und Gaststättengewerbe benötigt.
Doch ein solcher Effekt macht sich in Brandenburg nun kaum bemerkbar. 80 590 Einwohner des Bundeslandes waren im Juni arbeitslos gemeldet. Das waren nur läppische 303 weniger als vor einem Monat – und 3806 mehr als vor einem Jahr! Noch deutlicher zeigt sich das Dilemma in Berlin. Hier waren im Juni 200 396 Menschen erwerbslos – und damit sogar gegen die Faustregel der saisonüblich sinkenden Zahl 636 mehr als im Mai. Verglichen mit der Situation vor einem Jahr waren es dann sogar 15 519 mehr arbeitslose Menschen.
Und da gesteht Knie-Nürnberg: »Wir erwarten, dass sich die Arbeitsmarktlage in der Sommerzeit auch erst einmal so fortsetzt.« Aber das soll bei ihr keine Warnung sein. Denn sie beschwichtigt: »Aktuell sehen wir keine ungewöhnlich hohen Zugänge in Arbeitslosigkeit. Die Anzahl der Personen, die einen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt hat, ist weiterhin niedrig. Das gleiche Bild zeichnet sich bei den Anzeigen auf Kurzarbeitergeld durch Unternehmen ab.« Für Knie-Nürnberg belegen mehr als 45 000 freie Arbeitsstellen – und das seien ja rund 1500 mehr als vor einem Jahr – »dass die Unternehmen in Berlin und Brandenburg unvermindert nach Personal suchen«.
Immerhin ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berlin binnen eines Jahres um 12 489 Personen auf 1,69 Millionen gestiegen. Das ist 0,7 Prozent mehr. In Brandenburg gibt es auch einen Zuwachs. Er beläuft sich aber auf bescheidene 340 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vor einem Jahr. Dieser Zuwachs ist so gering, dass er in Prozenten ausgedrückt bei nur einer Stelle hinter dem Komma nicht messbar ist.
Die Wirtschaft beurteilt die Lage nicht so freundlich zurückhaltend wie die Arbeitsagentur. »Der Arbeitsmarkt in der Hauptstadtregion bleibt in einem schlappen Zustand«, urteilt Alexander Schirp, Hauptgeschäftsführer der hiesigen Unternehmensverbände. »Zwar steigt die Beschäftigung, zugleich ist aber auch die Arbeitslosigkeit spürbar höher als vor einem Jahr«, redet Schirp nicht lange um den heißen Brei herum. Er sieht grundlegende Probleme wie eine zu geringe Nachfrage und strukturelle Bremsen am Standort. Auch die Entwicklung des Geschäftsklimas deute darauf hin, »dass die Unternehmen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen weiter skeptisch sehen und sich mit der Einstellung von Personal zurückhalten«. Angesichts von Prognosen über drastisch steigende Sozialbeiträge in den kommenden Jahren verwundere das nicht.
Die erhoffte wirtschaftliche Belebung durch die laufende Fußball-Europameisterschaft in Gastronomie und Handel falle bislang überschaubar aus. »Nur an den Spieltagen steigt die Konsumnachfrage, auf die Beschäftigung wirkt sich das kaum aus«, sagt Schirp. Der Trend bereite weiter Sorgen. Saisonbereinigt nehme die Arbeitslosigkeit in Berlin bereits seit Anfang vergangenen Jahres fast ungebremst zu. Aber auch in Brandenburg berichte keine Branche von spürbar anziehenden Umsätzen. Hier gebe es bereinigt um die saisonalen Einflüsse seit März 2023 tendenziell immer mehr Arbeitslosigkeit.
Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann zeichnete am Donnerstag bei einer Landtagssitzung ein ebenfalls düsteres Bild: Das Wirtschaftswachstum, das Brandenburg gegen den Bundestrend erlebt hatte, stagniere und die Stimmung in der Wirtschaft sei schlecht, insbesondere im Mittelstand.
Dass der Wirtschaftsaufschwung in Brandenburg, dessen sich die rot-schwarz-grüne Koalition rühmt, »nichts mit der Realität im Land zu tun hat«, schlussfolgert Linksfraktionschef Sebastian Walter aus den Arbeitslosenzahlen. »Wir brauchen endliche eine Wirtschaftspolitik, die nicht nur Tesla sieht, sondern die klein- und mittelständischen Unternehmen in den Blick nimmt«, sagt Walter am Sonntag. »Gleichzeitig braucht es einen solidarischen dritten Arbeitsmarkt, ähnlich wie in Berlin, der Langzeitsarbeitslose integriert.«
- Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Arbeitslosenquote in Berlin im Juni von 8,9 auf 9,5 Prozent, in Brandenburg von 5,8 auf 5,9 Prozent.
- Die Zahl der jungen Arbeitslosen im Alter von 15 bis 25 Jahren erhöhte sich in Berlin binnen eines Monats um 1,2 Prozent und binnen eines Jahres um 10,2 Prozent. In Brandenburg waren es binnen eines Monats 0,8 Prozent mehr und binnen eines Jahres 11,3 Prozent mehr.
- Insgesamt sind 15 450 junge Berliner und 7278 junge Brandenburger erwerbslos.
- 55 216 Arbeitslose in Berlin und 29 473 in Brandenburg sind 50 Jahre und älter.
- 60 215 Berliner und 31 835 Brandenburger hatten schon länger als ein Jahr keinen Job mehr und gelten deshalb als langzeitarbeitslos.
- In Berlin haben 85 669 Erwerbslose nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, in Brandenburg sind es 17 874. af
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