Griechenland: Syriza in Turbulenzen

Konflikt um Parteizeitung führt zu weiterem Streit in griechischer Linkspartei

  • John Malamatinas, Thessaloniki
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Parteizeitung »Avgi« ist als Print Geschichte, wenn die griechische Linkspartei Syriza ihren Beschluss nicht revidiert.
Die Parteizeitung »Avgi« ist als Print Geschichte, wenn die griechische Linkspartei Syriza ihren Beschluss nicht revidiert.

Eigentlich lief es für Stefanos Kasselaki, den neuen Chef der griechischen Linkspartei Syriza, besser als erwartet. Mit knapp 15 Prozent bei der Europawahl lag das Ergebnis zwar immer noch deutlich hinter dem der geschwächten Regierungspartei Néa Dimokratía und dem eigenen Ergebnis von 2019, als fast 24 Prozent erreicht wurden, aber der komplette Absturz wurde verhindert. Die Syriza-Abspaltung Neue Linke schaffte es hingegen nicht einmal, einen Kandidaten ins Europaparlament zu bringen. Derweil streitet sich die sozialdemokratische Pasok um eine neue Führung, während der Parteiapparat von Syriza mittlerweile von den meisten Störenfrieden befreit ist.

Der Führungsstil des Millionärs aus Miami, der eine neue Epoche der Linken in Griechenland propagiert, sorgt indes immer weiter für innerparteiliche Konflikte – es knallt zurzeit mindestens an drei Fronten. Eine davon ist der Streit um die Zukunft der Parteizeitung »Avgi« (Morgenröte). Αm 25. Juni kündigte Syriza von einem Tag auf den anderen an, dass die historische Tageszeitung der griechischen Linken nur noch sonntags erscheinen soll. »Heute, am Dienstag, den 25. Juni 2024, um 16 Uhr, wurde uns plötzlich und ohne jede Rücksprache mitgeteilt, dass die Tageszeitung der Linken, die seit 1952 erscheint, nicht mehr an den Kiosken ausliegen wird. Das ist bisher nur einmal passiert: während der Militärjunta«, schrieb die Belegschaft am Tag der Verkündung.

Beschäftigte greifen zum Dauerstreik

Die Mitarbeiter der Zeitung reagierten mit einem Dauerstreik – Website und Zeitung lagen bis Sonntag brach. Sie bangen um ihre Jobs, denn Kürzungen und Entlassungen sind zu erwarten. Kasselakis behauptet indes, er habe den Mitarbeitern angeboten, die Zeitung in einem kooperativen Modell selbst zu übernehmen. »Avgi« kämpft seit Jahren mit niedrigen Auflagen und überlebt tatsächlich nur durch die Parteifinanzierung einer Partei, die selbst rote Zahlen schreibt und dazu wegen Wahlniederlagen und somit weniger Abgeordneten auch weniger Geld zur Verfügung hat. Mittlerweile streikten aus Solidarität und wegen der dramatischen Finanzlage auch die Mitarbeiter des Parteiradiosenders Sto Kokkino (Auf Rot). Kasselakis rief die Abgeordneten dazu auf, Geld zu spenden, um diese maroden Medienstrukturen zu retten – er selbst würde mit 20 000 Euro vorangehen.

Die drei Parteikader Dionysis Temponeras, Antonis Kostakas und Haris Tsiokas legten aus Protest ihre Parteiämter nieder, nachdem Kasselakis hatte verlauten lassen, »in meinem Syriza« solle es gesunde Parteifinanzen geben. Damit spielte er auch auf angeblich dubiose Finanzierungsquellen in der Zeit von Ex-Syriza-Chef Alexis Tsipras an. Bei dieser zweiten Front geht es um schwarze Parteikassen: Kasselakis fordert etwa eine unabhängige Untersuchung der Finanzen der Großparteien wie Nea Dimokratia und Syriza. In dem Rahmen hat der ihm nahestehende Abgeordnete Evangelos Apostolakis indirekt Tsipras vorgeworfen, die schwarzen Kassen überhaupt mit anderen möglich gemacht zu haben. Dabei geht es vor allem um illegale Parteispenden, die es den eigentlich hochverschuldeten Parteien erst ermöglichen, Wahlkämpfe zu führen und ihren Parteiapparat finanziell aufrechtzuerhalten. Das ist in Griechenland ein offenes Geheimnis.

Bei der dritten Front geht es um die Debatte um die Zukunft des progressiven Lagers. Alle progressiven Seiten rufen derzeit zu einer Zusammenarbeit gegen die autoritäre Regierung von Kyriakos Mitsotakis auf. Kasselakis ist ebenfalls ein Befürworter – aber nur wenn dieser Prozess zu seinen Bedingungen abläuft. Beim Streit geht es vor allem um das genaue Wie und Wer. Dabei kam es zum ersten Mal überhaupt seit dem Beginn seiner Amtszeit zu einem verbalen Angriff von Kasselakis auf seinen Vorgänger.

Kasselakis ist unter Zugzwang

Es deutet sich ein Bruch an. »Syriza wurde nicht geschaffen, um in eine zentralistische Formation mit geheimen Absprachen außerhalb der Gesellschaft aufgelöst zu werden. Syriza hat die Chance verdient, den Anspruch zu erheben, zu regieren und endlich den Erwartungen der fortschrittlichen Bürger zu entsprechen«, sagte er zu Alexis Tsipras und bezog sich dabei auf die Kontroverse um die linke Mitte. »Und deshalb sage ich klar und deutlich und mit einem Gefühl der historischen Verantwortung: Komm und übernimm das Ruder, und ich werde ein integrierter Soldat in deinen Bemühungen sein, ohne dich auch nur einen Moment lang zu untergraben«, schreibt er, fügt aber Folgendes hinzu: »Aber wenn du es nicht willst, unterstütze mich dabei, mich für unsere Partei einzusetzen, ohne Spielchen.«

Hinter all diesen Konflikten schwebt das Gerücht eines möglichen Comebacks von Tsipras, der sich weiterhin nicht öffentlich äußert. Bei der nächsten Sitzung des Zentralkomitees am 7. Juli werden weitere Entwicklungen erwartet. Ein weiteres Mitglied des Zentralkomitees, Vlasis Tsiogkas, trat ebenfalls von seinem Amt zurück und brachte die Kritik auf den Punkt: »Alle erfolgreichen und großen Führungspersönlichkeiten sind in die Geschichte eingegangen, weil es ihnen gelungen ist, trotz Meinungsverschiedenheiten zu vereinen und eine Synthese zu schaffen; die Bestrafung durch die Schließung kritischer Medien und die Entlassung von Personen mit einer anderen Sichtweise gehören zu anderen Zeiten und Orten.« Es ist nicht auszuschließen, dass weitere folgen. Kasselakis ist unter Zugzwang.

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