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Ende der Eiszeit zwischen Berlin und Warschau

Regierungskonsultationen: Engere Sicherheitskooperation vereinbart

Feierten das Revival guter Beziehungen: Olaf Scholz und Donald Tusk in Warschau
Feierten das Revival guter Beziehungen: Olaf Scholz und Donald Tusk in Warschau

Während der Amtszeit der nationalkonservativen polnischen Regierung unter Führung der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) waren die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau auf ein Minimum beschränkt. Nun haben der seit Dezember amtierende polnische Regierungschef Donald Tusk und Bundeskanzler Olaf Scholz in Warschau das Ende der Eiszeit eingeläutet.

Im Rahmen deutsch-polnischer Regierungskonsultationen beschlossen sie am Dienstag einen 40-seitigen Aktionsplan mit Fokus auf der Sicherheitspolitik. Außerdem kündigte Scholz Unterstützungsleistungen für Überlebende der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg an. Der Kanzler war mit zehn Ministerinnen und Ministern angereist, darunter Außenamtschefin Annalena Baerbock (Grüne), Innenministerin Nancy Faeser und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) sowie zwei Staatsministerinnen und dem Koordinator für die deutsch-polnische Zusammenarbeit, Dietmar Nietan, angereist.

Konkrete finanzielle Vereinbarungen zu Weltkriegsentschädigungen und Militärhilfe sind in dem Plan indes nicht erhalten. Das geht aus einem von der Bundesregierung verbreiteten Papier hervor. Er sieht zugleich Maßnahmen in den Bereichen Grenzschutz, Kampf gegen »illegale« Einwanderung, Klimaschutz, Energie, Verkehr und Künstliche Intelligenz vor.

Es ist das erste Mal seit November 2018, dass ein Treffen in diesem großen Format wieder stattfindet. Die PiS-Regierung, die Polen von 2015 bis 2023 führte, war demonstrativ auf Distanz zur Bundesrepublik gegangen – und hatte mit Reparationsforderungen in Höhe von 1,3 Billionen Euro für Verstimmung in Berlin gesorgt.

Indes hatte auch Tusk in der Vergangenheit wiederholt betont, er erwarte eine materielle und moralische Wiedergutmachung von Deutschland für die Schäden des Zweiten Weltkriegs. In dem nun vorliegenden Dokument heißt es: »Die beiden Regierungen führen einen intensiven Dialog über Maßnahmen zur Unterstützung für die noch lebenden Opfer des deutschen Angriffs und der Besatzung in den Jahren 1939 bis 1945, des Gedenkens sowie der Sicherheit.«

Als weiteres Projekt ist im Aktionsplan der Bau des deutsch-polnischen Hauses in Berlin erwähnt. Es soll unter anderem an die brutale deutsche Besatzung erinnern und einen Ort des Gedenkens für die polnischen Opfer schaffen.

Scholz betonte auf einer Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen: »Die globalen Herausforderungen unserer Zeit können wir nur gemeinsam angehen, die Sicherheit Europas nur gemeinsam verteidigen.« Deutschland und Polen seien bereits »gute Nachbarn, enge Partner und verlässliche Freunde«, wollten aber ihre Zusammenarbeit intensivieren.

Im gemeinsamen Papier wird Russland als »die unmittelbarste Bedrohung für die euroatlantische Sicherheit« bezeichnet. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die EU-Länder »in der denkbar brutalsten Weise daran erinnert«, wie wichtig die Friedenssicherung in Europa sei und »dass Europa in der Lage sein muss, sich selbst zu verteidigen«.

Scholz sagte, Deutschland und Polen gehörten zu den größten Unterstützern der Ukraine. Außerdem hätten beide eine »Führungsrolle« im Ostseeraum und beim Schutz der Nato-Ostflanke inne. Tusk sagte, er sehe in Deutschland eine führende Kraft »für Europas gemeinsame Sicherheit, Polen eingeschlossen«.

Mit Blick auf die NS-Verbrechen in Polen erklärte Scholz, Deutschland wisse »um die Schwere seiner Schuld, um seine Verantwortung für die Millionen Opfer der deutschen Besatzung und den Auftrag, der daraus erwächst«. Tusk kündigte an, dass Opfer der deutschen Besatzung schon sehr bald finanzielle Leistungen erhalten sollten. »Dies ist keine Sache von Jahren, sondern von Monaten«, sagte er. Scholz hatte unmittelbar zuvor eine Entschädigung für die noch etwa 40 000 lebenden Opfer der deutschen Besatzung Polens in Aussicht gestellt, ohne Zahlen und Daten zu nennen.

Tusk bezeichnete die Ankündigung von Scholz als Schritt in die richtige Richtung. »Es gibt keinen Geldbetrag, der all das ausgleichen würde, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist«, sagte er. Im formalen und rechtlichen Sinne sei die Frage der Reparationen abgeschlossen, dies hätten in der Vergangenheit auch polnische Regierungen so gesehen. Trotzdem könne die nun versprochene Hilfe für die Überlebenden einer neuen Öffnung in den deutsch-polnischen Beziehungen dienen.

Für ihn sei aber vor allem wichtig, »dass Deutschland bereit ist zu einer sehr viel größeren Verantwortung für die Sicherheit des Kontinents, dafür, dass es bei uns in Europa keinen Krieg geben wird«, betonte Tusk. Mit Agenturen

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