180-Grad-Wende für Kriegstüchtigkeit

Union und SPD beschließen unbegrenzten Spielraum für Militärausgaben und 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastruktur

In der CDU sind viele mit den Beschlüssen der Sondierer nicht zufrieden und finden, Friedrich Merz sei vor der SPD eingeknickt.
In der CDU sind viele mit den Beschlüssen der Sondierer nicht zufrieden und finden, Friedrich Merz sei vor der SPD eingeknickt.

Vor einem Jahr hätte diesen Positionswechsel bei CDU und CSU wohl niemand für möglich gehalten, schon gar nicht unter Führung eines Friedrich Merz. Der geißelte jedes Sondervermögen als »Taschenspielertrick« zur Umgehung der Schuldenbremse, und die Unionsfraktion im Bundestag stimmte gegen diese Form der »Aufweichung« der Regelung im Grundgesetz. »Aufgaben, vor denen wir stehen, lassen sich lösen auch ohne zusätzliche Abgaben und ohne neue Schulden«, sagte Merz im Januar 2024 im Bundestag.

Gleichwohl haben er und die C-Parteien für das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr nach der russischen Invasion der Ukraine vor drei Jahren schon einmal eine Ausnahme gemacht. Aus staatspolitischer Verantwortung, wie Merz damals betonte. Nun hat der CDU-Chef es wieder getan. Am Dienstagabend trat er gemeinsam mit CSU-Chef Markus Söder und den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil vor die Presse und verkündete, man wolle für die Verteidigungsausgaben jegliche Begrenzung außer Kraft setzen. Nur für sie soll die Schuldenbremse nun nicht mehr gelten. Außerdem soll für wichtige Investitionen in die Infrastruktur ein Sondervermögen im Umfang von 500 Milliarden Euro geschaffen werden.

Union und SPD wollen beide Vorhaben im Grundgesetz verankern und diese noch im abgewählten 20. Bundestag beschließen lassen. Dafür setzen sie auf die Unterstützung der Grünen. Mit ihnen zusammen kommen sie im alten Parlament auf die für die Änderungen nötige Zweidrittelmehrheit, die ihnen im neuen Bundestag fehlt. Die drei Fraktionen haben im alten Bundestag zusammen 520 der 733 Parlamentssitze, was knapp 71 Prozent entspricht.

Die Linke kritisierte das Vorhaben als Missachtung des Wählerwillens und kündigte eine verfassungsrechtliche Prüfung an. Es ist also bislang keineswegs sicher, dass die GroKo in spe damit durchkommt, zumal auch die Grünen angekündigt haben, sich die Pläne erst einmal genauer anschauen und gegebenenfalls weitere Forderungen stellen zu wollen.

Gleichwohl wird Noch-Kanzler Olaf Scholz das gigantische »Finanzpaket« – für die Bundeswehr wird ebenfalls mit insgesamt an die 500 Milliarden Euro Investitionsbedarf gerechnet – an diesem Donnerstag auf dem EU-Gipfel in Brüssel als deutschen Beitrag zur europäischen Wiederaufrüstung präsentieren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte am Dienstag einen Plan vorgelegt, der die Erhöhung der Verteidigungsausgaben des Staatenbündnisses um sagenhafte 800 Milliarden Euro vorsieht.

Konkret sieht die Ausnahmeregelung für die Kriegstüchtigwerdung Deutschlands vor, dass Kredite für alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts von der Schuldenbremse ausgenommen sein sollen. Auf der Basis des BIP von 2024 gerechnet wären das alle Ausgaben gewesen, die die Marke von etwa 43 Milliarden Euro übersteigen. Dies ist insofern erstaunlich, als Merz noch vor einer Woche gesagt hatte: »Es ist in der naheliegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren.« Die aktuelle Kehrtwende dürfte ein Zugeständnis an SPD und Grüne sein, denn beide Parteien hatten eine Aufstockung des Bundeswehr-Sondervermögens abgelehnt.

Nach Darstellung der Sondierungsteilnehmer soll die Ein-Prozent-Regelung bei den Verteidigungsausgaben auch zur Vorbereitung auf mögliche Entscheidungen von US-Präsident Trump dienen. Die Aufwendungen fürs Militär seien so künftig »beliebig nach oben skalierbar«. Zudem sei das deutsche Verhalten bei der Rüstung so für Russland nicht berechenbar – anders als bei einem Sondervermögen, bei dem es immer ein Limit nach oben gebe. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums versprach, die Bundeswehr wolle die Mittel so einsetzen, dass nicht nur große Rüstungskonzerne davon profitieren, sondern dass es Effekte für die »gesamte Wirtschaft« gebe. Man habe nicht zum Ziel, »vereinzelte große Unternehmen noch größer zu machen.

Das Infrastruktur-Sondervermögen ist insbesondere für die Sanierung von Straßen, Schienen, Brücken, Energienetzen vorgesehen. Auch das hatte die SPD gefordert. Dem Vernehmen nach sollen die Gelder anteilig auch für die Umsetzung der noch von der Ampel beschlossenen Krankenhausreform eingesetzt werden können. Über ein Fünftel, also 100 Milliarden Euro, sollen die Bundesländer verfügen dürfen.

Die Linke kündigte derweil an, die geplante Verabschiedung des Vorhabens im alten Bundestag rechtlich zu prüfen. Es müsse sich zeigen, «ob eine solche Abstimmung über mehrere hundert Milliarden im gerade abgewählten alten Bundestag überhaupt verfassungskonform ist», heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der Parteivorsitzenden und der amtierenden Fraktionsspitze. Von dieser Prüfung werde die Linke auch ihr Abstimmungsverhalten abhängig machen.

Am Vorgehen von SPD und Union äußerten die Linke-Spitzen scharfe Kritik. «Statt der Abschaffung der Schuldenbremse für zentrale Fragen wie Wohnungsbau oder Gesundheit wollen Union und SPD jetzt einen Blankoscheck für Aufrüstung durchdrücken», heißt es in der Erklärung. Ausschließlich Rüstungsausgaben sollten von der Schuldenbremse ausgenommen und damit «völlig übereilt und demokratisch höchst fragwürdig eine Grundgesetzänderung in nie dagewesener finanzieller Dimension durch den Bundestag» gepeitscht werden.

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