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Gouverneurswahl in Tokio: Entertainment und große Ambitionen
In Japans Hauptstadt stellen sich 56 Kandidaten zur Wahl – am Ende machen es zwei Frauen unter sich aus
Japans Hauptstadt hat die Qual der Wahl: Sollte man seine Stimme einem Model geben, das nackt auf Plakaten posiert, womit es die in Japan konservativen Gesetze zur Zensur von Geschlechtsteilen kritisiert? Oder lieber einem Cosplayer, der gerne mal als Verschnitt der Filmfigur »Die Maske« auftritt und Tokios Freizeitszene aufmöbeln will? Vielleicht sollte man aber auf Erfahrung setzen: Dann wäre ein Kandidat passend, der sich seit 1991 immer wieder der Wahl stellte und nun damit wirbt, dass er schon 96 Jahre alt ist.
In Tokio ergibt es irgendwie Sinn, dass die Kandidatenvielfalt bei einer Wahl enorm ist: Mit rund 37 Millionen Menschen ist die japanische Hauptstadt immerhin der größte Ballungsraum der Welt. 56 Frauen und Männer bewerben sich diesmal um den Posten des Gouverneurs. Ein Rekordwert – wenngleich kaum jede dieser Kandidaturen wirklich ernst gemeint ist. Wobei sich die Kampagnen rund um die Wahl am 7. Juli aber keineswegs nur um Entertainment drehen.
Model und Cosplayer stehen zur Wahl
Wie ernst die Wahl in dieser Metropole mit der weltweit größten Wirtschaftskraft wirklich ist, zeigt sich allerdings vor allem am Beispiel der zwei Favoritinnen: Auf der einen Seite ist da die 71-jährige Amtsinhaberin Yuriko Koike, die unter anderem damit wirbt, die Unterstützung für Familien mit Kindern hochfahren zu wollen. Ihre Herausforderin Renho Saito, 56 und wie Koike einst TV-Moderatorin, fordert dagegen höhere Einkommen für junge Menschen, sodass diese mehr Entscheidungsspielraum haben.
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Der Hintergedanke dabei ist ähnlich: Die Geburtenraten in Japan sind niedrig, und als wichtigster Grund gelten die hohen Lebenshaltungskosten in großen Städten sowie die unsichere Einkommenslage gerade für jüngere Menschen. Das Problem, dass kaum noch Kinder geboren werden, führt bei der in Japan strengen Migrationspolitik zu Arbeitskräftemangel.
Zwei Frauen entscheiden das Duell unter sich
Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo sah am 1. Juli Koike knapp vor Renho. Es wird also ein Duell der Frauen. Dass damit höchstwahrscheinlich eine dieser zwei Kandidatinnen zur nächsten Gouverneurin wird, ist für das ostasiatische Land beachtlich. Zwar hat die japanische Hauptstadt seit 2016 ein weibliches Regierungsoberhaupt, als die nationalistisch eingestellte Koike erstmals Gouverneurin wurde. Allerdings musste sie sich seither gegen männliche Gegenkandidaten durchsetzen.
Die Entwicklung steht im Widerspruch zu Japans Abschneiden in internationalen Vergleichen der Gendergleichheit. Im Gender-Gap-Report des Weltwirtschaftsforums, der Gleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung sowie Teilhabe in Politik und Wirtschaft analysiert, rangiert Japan weiter hinten als fast jeder Industriestaat. Zuletzt landete es hinter Myanmar und den Malediven auf Platz 125 von 146 verglichenen Staaten. Und dies vor allem wegen schlechter Chancen in Politik und Wirtschaft.
Frauen in japanischer Politik weiter unterrepräsentiert
Dabei hat sich die Lage zuletzt verbessert. Gerade im Vorfeld der Olympischen Spiele von Tokio 2021, deren Motto »Einheit in Vielfalt« lautete, erhöhte sich die gesellschaftliche Sensibilität für Sexismus. So musste der Vorsitzende des olympischen Organisationskomitees, Ex-Premierminister Yohishiro Mori, von seinem Amt zurücktreten, nachdem er Frauen unterstellt hatte, sich in Gremien nicht kurzfassen zu können. Moris Amtsnachfolgerin wurde dann Seiko Hashimoto, eine Ex-Athletin.
Einigen Beobachtern geht die jüngste Entwicklung aber noch nicht weit genug. »Frauen, die es in etablierten Parteien an die Spitze schaffen, sind eher solche, die im Klub älterer Männer niemanden aufregen«, sagt etwa Koichi Nakano, Politikprofessor an der Sophia-Universität in Tokio. So rief Yuriko Koike als Gouverneurin zwar Seminare ins Leben, die Managerinnen vernetzen und beim Karriereaufstieg fördern sollen. Allerdings erklärte sie zuletzt auch: »Frauen sind die am stärksten ungenutzte Ressource Japans.«
Aber jenseits stärkerer Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt wird der eher konservativen Gouverneurin kaum eine feministische Agenda nachgesagt. Vielmehr hat sich die Überzeugung, dass es für Wirtschaftswachstum in Japans alternder und schrumpfender Gesellschaft mehr Managerinnen braucht, längst auch in der auf Nationalebene regierenden Konservativen durchgesetzt. Die Liberaldemokratische Partei (LDP), die Japans Premierminister stellt, fördert dies seit Jahren.
Gouverneursposten als Sprungbrett für höhere Aufgaben
Die Wahl in Tokio gilt ohnehin als ein Rennen zweier Frauen, die vom Rathaus in Richtung des Premierministerbüros schielen würden. Bevor Koike 2016 Gouverneurin wurde, hatte sie der in Japan übermächtigen LDP angehört, für die sie auch mehrere Ministerposten innehatte. Auch Renho Saito war Ministerin, als die Demokratische Partei (DP) von 2009 bis 2012 regierte, später dann Parteivorsitzende. Heute gehört sie der Verfassungsdemokratischen Partei an, die der aufgelösten DP nachgefolgt ist.
Beiden Favoritinnen für den Posten der Gouverneurin wird nachgesagt, Ambitionen auf Nationalebene zu verfolgen. Hiroshi Shiratori, Politikprofessor an der Hōsei-Universität in Tokio, bezeichnete das Regierungsamt in der übermächtigen Metropole zudem als »Sprungbrett« für die höchsten Posten des Landes. Und derzeit könnten die Chancen von Koike und Saito, als erste Frau Premierministerin zu werden, historisch gut sein: Amtsinhaber Fumio Kishida leidet unter niedriger Beliebtheit, wie auch seine Partei LDP.
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