Betriebsrat: »Lidl überschreitet eine Grenze«

Betriebsrat Ferhat Akbulutlar über gewerkschaftsfeindliche Strategien bei Lidl und Solidarität im Betrieb

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Protestieren gegen Union Busting: Gewerkschafterinnen vor einer Lidl-Filiale in Herne
Protestieren gegen Union Busting: Gewerkschafterinnen vor einer Lidl-Filiale in Herne

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wirft dem Discounter Lidl in Herne Union-Busting-Methoden vor. Was steckt dahinter?

Vor drei Jahren wurde ein neuer Betriebsleiter eingesetzt. Der hat uns gleich klargemacht, dass er nichts von Betriebsräten, Mitbestimmung oder Gewerkschaften hält. Inzwischen ist es so, dass Teile der Belegschaft gegen meine Mitstreiter und mich aufgebracht werden. Wir werden mit Klagen und Kündigungen überzogen. Kollegen, die sich kritisch äußern wollen, werden sofort niedergebrüllt und dazu gedrängt, den Mund zu halten. Beschäftigte, die mit mir in meiner Funktion als Betriebsrat sprechen möchten, werden gefragt, weshalb sie zu mir wollen. Ziel ist wahrscheinlich, sie einzuschüchtern und zu zeigen: Wir haben dich im Blick. Auch unser Gewerkschaftsvertreter wird immer wieder massiv und unsachlich angegangen.

Inwieweit sind Sie persönlich davon betroffen?

Mir hat man gleich dreimal zu kündigen versucht – und mich aus dem Betriebsrat auszuschließen. Die Kündigungsversuche wurden erstinstanzlich abgewiesen. Leider wurde dem Ausschlussantrag zugestimmt. Beide Verfahren sind in der zweiten Instanz. Ich werde von Führungskräften gemieden und noch nicht mal gegrüßt. Meine Freizeitwünsche werden nicht bewilligt. Zu Firmenveranstaltungen werde ich nicht eingeladen. Viel schlimmer ist aber, dass uns nahestehende Kolleginnen und Kollegen in Sippenhaft genommen und teils ebenso schlecht behandelt werden. Wir sind froh, dass dies keinerlei Auswirkung auf die wertvolle Unterstützung hat, die wir von der Gewerkschaft Verdi erhalten. Ohne sie an unserer Seite und die Solidarität der Öffentlichkeit würden viele das nervlich nicht durchstehen.

Interview

Ferhat Akbulutlar ist 1981 in Herne geboren, verheiratet und hat zwei Kinder. Er arbeitet seit 2001 im Lidl-Zentrallager in Herne, seit 2010 ist er im Betriebsrat aktiv. Im Juni 2024 wurde er als dessen Vorsitzender abgewählt.

Wie erklären Sie sich das Vorgehen?

Meine Kollegen und ich haben seit fünf Amtszeiten die Mehrheit bei den Betriebsratswahlen. Wir haben seitdem sehr viel bewegt und verbessert. Wir haben dafür gesorgt, dass die Mitarbeiter richtig eingruppiert werden, dass sie feste Arbeitszeiten haben und keine kurzfristigen Änderungen der Dienstpläne stattfinden. Es gibt keinen Überstundenzwang, sie haben jeden zweiten Samstag freibekommen, höhere Löhne, Urlaubs- und Freizeitwünsche werden berücksichtigt. Es gibt vernünftige Arbeitszeiten und vieles mehr. Mir ist nicht bekannt, dass in anderen Lidl-Lagern so günstige Bedingungen erkämpft wurden. Das scheint dem Konzern ein Dorn im Auge zu sein. Insbesondere, weil dieses Jahr unser Umzug in ein größeres und moderneres Lager ansteht und unsere Mitarbeiteranzahl mittelfristig auf 400 Beschäftigte verdoppelt wird. Das hätte ein größeres und eventuell mächtigeres Betriebsratsgremium zur Folge. Es wird immer wieder betont, dass man in Zukunft flexibler sein müsse, um am Markt zu bestehen. Gerade das neue Lager müsse profitabel sein. Selbstverständlich wollen auch wir, dass unser Standort wächst und unser Arbeitsplatz gesichert ist. Das darf aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten geschehen.

Was befürchten Sie?

Im Lager werden schwerste Arbeiten verrichtet, Hunderte Tonnen bewegt, kommissioniert und unter hohem Druck geschuftet. Ich habe die Sorge, dass die erkämpften Errungenschaften den Kolleginnen und Kollegen zugunsten höherer Flexibilität und höheren Profits wieder weggenommen werden sollen. Die ersten Änderungen sind bereits vollzogen. Die Regelung, dass jeder zweite Samstag frei ist, wurde geändert. Dagegen wehren wir uns. Dass es ein Echo aus den Reihen der Geschäftsführung gibt, ist nicht verwunderlich und bis zu einer bestimmten Grenze auch normal. Wenn aber gewählte Betriebsräte verklagt und gekündigt werden, wenn kritische Kollegen bedrängt werden, wenn Gewerkschaftsvertreter bekämpft werden, dann ist jedenfalls eine Grenze überschritten, die es zu verteidigen gilt.

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Die Abmahnungen und Kündigungsversuche hatten vor Gericht bislang keinen Bestand. Wieso haben dennoch so viele Angestellte Angst, sich zu äußern?

Einige Kolleginnen und Kollegen haben sich jüngst gegenüber einem Journalisten der »WAZ« geäußert und ihre Angst überwunden. Dieser mutige Schritt war dringend notwendig, aber auch unglaublich schwer. Denn die Beschäftigten sehen an mir und anderen, wie es ihnen ergehen kann, wenn sie den Mund aufmachen. Das schreckt natürlich ab. Sie sehen auch, dass einige Kollegen, die früher an unserer Seite standen, den Druck nicht aushalten konnten und gegangen sind. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir mit unserer starken Gewerkschaft im Rücken, weitere Kolleginnen und Kollegen für den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen gewinnen können. Als Beschäftigter kann ich nur sagen: Jetzt ist es wichtiger denn je, in die Gewerkschaft einzutreten.

Sie wollen mit einer bundesweiten Unterschriftenaktion auf die Missstände aufmerksam machen. Wie ist die Resonanz bislang?

Die Solidarität, die über die Petition erreicht wurde, ist überwältigend. Die Unterstützung reicht von Bundestagsabgeordneten über Stadträte, regionale Politiker bis zum investigativen Journalisten Günter Wallraff. Das gibt Kraft und zeigt uns, dass wir auf der richtigen Seite stehen. Wir wissen andererseits aber auch, dass wir unsere Sache nur selbst in die Hand nehmen können. Die öffentliche Unterstützung und unsere Gewerkschaft geben uns die Kraft, dies auch in Zukunft zu tun.

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