Grünheide: Mit Schlafsack und Klavier

Die Waldbesetzung in Grünheide steht nicht bloß für den Kampf gegen Tesla

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 7 Min.
»Wasser ist ein Menschenrecht« steht auf Englisch auf einem der Transparente.
»Wasser ist ein Menschenrecht« steht auf Englisch auf einem der Transparente.

Die Sonne steht hoch am Himmel, es ist heiß im Wald in Grünheide. Schon seit Monaten gibt es in der brandenburgischen Gemeinde eine Waldbesetzung gegen die Fabrik des E-Auto-Herstellers Tesla. Die meisten Besetzer*innen sind ausgeflogen, sich im See abkühlen. Im April war das noch anders – ausgerechnet in der Woche, als ich beschlossen hatte, für einige Tage ins Baumhaus zu ziehen, lagen die Temperaturen unter null Grad.

Trotzdem wollte ich nicht auf wärmere Tage warten. Denn zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, dass die Besetzung so lange dauern wird. Ich wollte herausfinden, was Aktivist*innen dazu motiviert, eine beheizte Wohnung gegen einen hölzernen Schlafplatz in luftiger Höhe einzutauschen. Einen Winterschlafsack, mehrere Jacken und dicke Socken empfiehlt mir mein Baumhaus-Mitbewohner Finjo, nachdem ich mich am ersten Morgen aus meinem viel zu dünnen Schlafsack geschält habe. Alles, »um diesen Wald zu schützen, weil Tesla hier seine Gigafactory erweitern möchte«, erinnert er mich.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Nur rund drei Kilometer entfernt lugt die sogenannte Gigafactory zwischen den Bäumen hervor. Seit zwei Jahren produziert der US-amerikanische E-Auto-Konzern Tesla dort jährlich rund 300 000 E-Autos sowie Teile von Batterien. Tesla-Chef Elon Musk will die Grünheider Fabrik noch erweitern, um zukünftig eine Million Fahrzeuge im Jahr herstellen zu können. Dafür wollte er ursprünglich mehr als 100 Hektar Wald roden – in einem Landschafts- und Wasserschutzgebiet.

Um Musks Vorhaben zu verhindern, besetzten Ende Februar etwa 80 Aktivist*innen der Initiative »Tesla stoppen« das besagte Waldstück. Etwa 20 Baumhäuser stehen dort, zusammen mit der Bodenstruktur erinnert das Camp an ein kleines Dorf. Laufe ich hindurch, entdecke ich viele bunte Farben: So bietet das Camp eine Kunstwerkbank, mehrere Sitzgelegenheiten aus Holz, eine Bücherecke mit Mini-Bibliothek, Materiallager aus Holz und sogar ein überdachtes Klavier. In den Bäumen hängen Transparente mit Sprüchen wie »Brecht die Welle des Kapitals« und »Water is a human right« (»Wasser ist ein Menschenrecht«).

Früh morgens ist die Stimmung in der Waldbesetzung noch ziemlich verschlafen. Auf der Suche nach einem heißen Getränk mache ich mich auf den Weg zur Mahnwache, einige Minuten Fußweg entfernt, an einer Straße und am Bahnhof Fangschleuse gelegen. Die Mahnwache soll die Besetzung Tag und Nacht vor unliebsamen Besucher*innen warnen und ist gleichzeitig eine Art Kontaktstelle zur Außenwelt.

Die zurückliegende Nacht sei ruhig gewesen, berichteten John und Carly, die gerade ihre Schicht beenden. »Ich mag eigentlich Nachtschichten, weil wir dann die Arbeiter*innen begrüßen können, die zur Morgenschicht kommen«, sagt Carly. Mit jedem in Fangschleuse ankommenden Zug strömen zwischen zehn und 20 Mitarbeitende von Tesla an der Mahnwache vorbei zum Bus, der sie in die Fabrik bringt. Einige gute Gespräche habe es mit ihnen bereits gegeben, nachdem die Besetzer*innen klar gemacht hatten, dass sie nicht hier seien, damit die Beschäftigten ihre Jobs verlieren. Ohnehin habe Carly »bis jetzt noch keine Person getroffen, die zufrieden ist mit der Arbeitssituation«.

Tatsächlich ist es gerade Elon Musk selbst, der aufgrund schwächelnden Absatzes weltweit 1400 und in Grünheide 400 Mitarbeitende entlassen will. Die schlechten Arbeitsbedingungen hat auch die Gewerkschaft IG Metall schon angeprangert: extrem hohe Arbeitsbelastung und gravierende Mängel bei Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit, die zu Krankenständen von rund 30 Prozent und einer hohen Zahl an Arbeitsunfällen führen.

Beim Frühstück erklärt mir die Besetzungssprecherin Mara, was den Aktivist*innen in Bezug auf Lebensmittel wichtig ist: Sie sollen vegan sowie gerettet oder gespendet, also »nicht auf dem kapitalistischen Markt erworben« sein. Während des Gesprächs wird es auf einmal laut, Mara hingegen wird still. Etwa zehn Polizist*innen laufen an uns vorbei. Wie an so vielen Tagen gibt es eine Routinekontrolle im Camp. Die Besetzer*innen vermuten, dass die Polizei nach Gründen sucht, um dem Baumhausdorf die Genehmigung entziehen zu können. Auf Anfrage von »nd« sagt eine Sprecherin der Polizei, dass die regelmäßigen Begehungen dazu dienten, mit den Aktivist*innen im Gespräch zu bleiben und die Einhaltung der Versammlungsauflagen zu kontrollieren. Zum Beispiel dürfe im Wald kein Feuer gemacht werden.

»Überall das gleiche doofe System«, schimpft Mara, sobald der Trupp außer Hörweite ist. Mit »System« meint sie den kapitalistischen Staat. Die Besetzer*innen des Waldes, die überwiegend anarchistisch denken, heißen die Polizei als staatliche Institution nicht gerade willkommen.

Bislang haben sich die Aktivist*innen recht erfolgreich gegenüber der Polizei behauptet. Brandenburgs Polizeipräsidium wollte die Besetzung ursprünglich Anfang März räumen lassen, doch die Aktivist*innen gingen gerichtlich dagegen vor und bekamen Recht vom Potsdamer Verwaltungsgericht. Seitdem wurde die Genehmigung mehrmals verlängert, aufgrund des grundgesetzlichen Schutzes politischer Versammlungen.

»Wie es bis jetzt gelaufen ist, ist ja fast schon magisch«, sagt auch Ronja, eine Aktivist*in aus Bayern. Gemeinsam mit ihrer Mitstreiter*in Rauke haben wir uns für ein Interview auf dem Waldboden niedergelassen. Einen Monat später sieht die Lage für die Besetzer*innen etwas anders aus: Im Mai stimmte der Gemeinderat von Grünheide für den Tesla-Ausbau – obwohl sich bei einer Einwohner*innenbefragung zuvor 60 Prozent der Bürger*innen dagegen ausgesprochen hatten. Der Bebauungsplan wurde seitdem angepasst, sodass nur noch 50 Hektar Wald gerodet werden sollen anstatt wie von Musk geplant 100.

Die Besetzer*innen fürchten einen großen Schaden im Trinkwasserschutzgebiet. »Schon jetzt verbraucht die Tesla-Fabrik enorme Massen an Grundwasser, die eigentlich der Bevölkerung zustehen sollten«, kritisiert Rauke. Genau genommen verschlingt die Fabrik 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr, so viel wie eine Stadt mit 30 000-Einwohner*innen. Bewohner*innen vor Ort wie etwa die Bürgerinitiative Grünheide protestieren deswegen seit Jahren gegen Tesla. Dieser Widerstand verleihe der Besetzung eine starke Legitimität, erklärt Ronja: »Ich glaube, es ergibt keinen Sinn, Sachen zu besetzen, wo es keinen Rückhalt in der Bevölkerung gibt.«

Podcast »In Bewegung – Neue Zukunft«

Während ihrer Zeit in der Besetzung hat unsere Autorin die erste Folge ihres neuen Podcasts »In Bewegung – Neue Zukunft« aufgenommen. Darin erfahrt ihr noch mehr über Motivation und Utopien der Aktivist*innen. Der Podcast ist auf allen gängigen Podcast-Apps zu finden sowie auf der Website der »Neuen Zukunft«. Die »Neue Zukunft« ist ein neues Online-Magazin über die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In der ersten Sendung berichten Aktivist*innen, wo die Bewegung gerade steht und welche Strategien für die Zukunft notwendig sind.

Neben den Vorwürfen gegen Tesla, grünen Kapitalismus zu betreiben und den globalen Süden auszubeuten, war der Protest der Bewohner*innen für Ronja der entscheidende Grund, um sich »Tesla stoppen« anzuschließen. Letztendlich sei eine solche Besetzung auch »gleichzeitig ein Experimentierfeld dafür, was es für alternative Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens geben könnte«, sagt Rauke.

Denn die Besetzer*innen verbringen jeden Tag miteinander, kümmern sich gemeinsam ums Kochen und Spülen, putzen Komposttoiletten und treffen in ihren Plena basisdemokratische Entscheidungen. »In solchen Konzepten wird mehr auf die Freiwilligkeit vertraut und nicht davon ausgegangen, dass wir ganz viele Regeln oder Verpflichtungen brauchen«, ergänzt die Aktivistin.

So ähnlich sieht das auch Aktivist*in Wange: »Ich habe ein schöneres System vor Augen als das, in dem wir momentan leben. Und in einer Besetzung wird eben auch entdeckt, wofür wir stehen.« Es gehe nicht nur darum, gegen E-Autos zu demonstrieren und den Klimawandel aufzuhalten, sondern vor allem darum, sich Gedanken über schönere autofreie Städte oder eine sozial gerechtere Welt zu machen. Wange blickt allerdings auch selbstkritisch auf die Besetzung: Sie werde von überwiegend privilegierten, weißen und akademisch gebildeten jungen Menschen dominiert und sei für viele andere, die sich keine wochenlange Auszeit vom Studium oder Job leisten können, schwer zugänglich.

Auch dass das kapitalistische System durch einzelne Besetzungen nicht abgeschafft wird, sondern stattdessen die Besetzungen in der Regel früher oder später geräumt werden, überschattet die anarchistische Parallelwelt. Doch nach jeder Räumung entstünden auch wieder neue spannende Projekte, sagt Wange. »Und es geht ja nicht alles verloren, vor allem nicht im Kopf und nicht die Verbindungen unter Menschen.«

Zwei Monate später und zwanzig Grad wärmer steht das Baumhausdorf noch immer und scheint dem System zu trotzen. Im Zusammenleben mit den Besetzer*innen habe ich den Wunsch nach einem umfassenden gesellschaftlichen Wandel gespürt – und solange der noch Utopie ist, die Motivation, im Kleinen einfach schon mal anzufangen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.