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Syrische Geflüchtete: Angst wegen geleakter Daten

Namen, Adressen und Passnummern syrischer Geflüchteter in der Türkei öffentlich gemacht

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Ali Yerlikaya, Innenminister der Türkei, antwortet auf Fragen von Journalisten.
Ali Yerlikaya, Innenminister der Türkei, antwortet auf Fragen von Journalisten.

Die türkische Migrationsbehörde hat angekündigt, das massenhafte Durchsickern von Daten über in der Türkei lebende syrische Migranten in sozialen Medien zu untersuchen, berichtete der im irakischen Erbil ansässige kurdische Fernsehsender Rudaw am Freitag auf seiner Webseite. Nach Informationen verschiedener Medien und Posts auf der Online-Plattform X sind die persönlichen Daten von bis zu drei Millionen Syrern, die in der Türkei leben, über Nacht ins Internet gestellt worden, mutmaßlich vom Social-Media-Account eines 14-Jährigen.

Nach den pogromartigen Gewaltausbrüchen gegen syrische Flüchtlinge in mehreren türkischen Städten zu Beginn der laufenden Woche muss ernsthaft befürchtet werden, dass die geleakten Daten von rechtsextremistischen und nationalistischen Gruppen in der Türkei genutzt werden könnten, um gezielt gegen syrische Migranten vorzugehen.

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Weiteren Anlass zur Sorge geben die Nachrichten, wonach der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich offen gezeigt hat, die Beziehungen zum syrischen Staatschef Baschar Al-Assad zu normalisieren. Erdoğan hat am Freitag eine neue diplomatische Friedensinitiative mit Damaskus angedeutet und eine mögliche Einladung an den syrischen Präsidenten in Aussicht gestellt. »Wir könnten zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Einladung an Baschar Al-Assad aussprechen«, sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vor Journalisten auf dem Rückflug von Astana, der Hauptstadt Kasachstans, wo er an einem zweitägigen Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) teilgenommen hatte.

Viele der syrischen Flüchtlinge sind jedoch vor eben diesem gewalttätigen Assad-Regime in die Türkei geflohen und stehen mutmaßlich als Regimegegner auf Listen der syrischen Regierung. Normalisierte Beziehungen zwischen den Regierungen in Ankara und Damaskus könnten dazu führen, dass das syrische Regime Auslieferungsersuchen an die Türkei richtet, um Oppositionelle in die Finger zu bekommen, von deren Aufenthaltsort sie nun dank der geleakten Daten Wind bekommen hat.

Nach Angaben des türkischen Innenministeriums sind die Identitätsdaten von Syrern, die in der Türkei unter vorübergehendem Schutz stehen, über das Konto verbreitet worden: weit über drei Millionen Menschen. Das meldet aus Istanbul die in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ansässige Zeitung The National.

Die libanesische Nachrichtenwebseite Megaphone berichtet, eine Telegram-Gruppe mit dem Namen »Uprising Turkey« habe Daten von bis zu drei Millionen in der Türkei lebenden Syrern veröffentlicht und zu Protesten gegen Flüchtlinge im Gebiet um die Stadt Sultanbeyli nahe Istanbul aufgestachelt. Das türkische Innenministerium habe einen 14-jährigen türkischen Minderjährigen mit den Initialien E.P. festgenommen und ihn für die Weitergabe der Daten und die Verwaltung der Gruppe verantwortlich gemacht. Die durchgesickerten Daten enthielten Namen, Ausweisnummern und Adressen von Syrern und Nicht-Syrern in der Türkei. Der Erklärung des türkischen Innenministeriums zufolge ist E.P. der Administrator der Telegram-Gruppe.

Noch ist unklar, wie aktuelle die geleakten persönlichen Daten sind. Laut der türkischen Generaldirektion für Migrationsmanagement stimmen die durchgesickerten Daten nicht mit ihren vorhandenen Aufzeichnungen überein, sie untersuche die Quelle und das Datum des Zugriffs. Offenbar seien die Daten zumindest zum Teil veraltet und ungenau, berichtet Megaphone, denn darunter seien auch persönliche Daten von Personen, die die Türkei bereits verlassen oder schon die türkische Staatsbürgerschaft angenommen haben.

Unter den Syrer selbst wird angezweifelt, ob die Generaldirektion für Migrationsmanagement tatsächlich gehackt wurde oder ob die Daten nicht absichtlich nach außen gegeben wurden. Untersuchungen hätten ergeben, dass die rassistischen Angriffe türkischer Bürger auf syrische Geflüchtete über vier Whatsapp-Gruppen mit jeweils 500 Mitgliedern koordiniert worden seien und dabei gezielt Häuser, Geschäfte und Fahrzeuge syrischer Eigentümer angegriffen werden sollten.

Es bleibt unklar, wer genau hinter dem Datenleck steckt. Aber unter den Syrern im Land macht sich die Angst breit, dass dies Teil der Bemühungen einiger ultranationalistischer Türken ist, Syrer zur Ausreise zu zwingen. »Dies ist ein Weg, alle Syrer einzuschüchtern und sie verschiedenen Arten von Gefahren auszusetzen, einschließlich des Besitzes von Handynummern und deren Verwendung für terroristische und betrügerische Aktivitäten und Ähnliches«, sagte ein syrischer Aktivist gegenüber The National.

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