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- Taylor Swifts »Eras Tour«
Taylor Swift startet ihre Tour: Hype und Häme
Nadia Shehadeh erklärt das Pop-Phänomen Taylor Swift
In ein paar Tagen ist es soweit: Taylor Swifts »Eras Tour« führt sie auch nach Deutschland: Gelsenkirchen, Hamburg und München haben die Ehre, die US-Popsängerin und zehntausende Fans zu begrüßen. Viel Hype, aber auch viel Häme gibt es für Swift und die Swifties, wie ihre Fans liebevoll genannt werden. »Was findet man eigentlich an der?«, fragen sich vor allem Leute, die sich in Geschmacksfragen wahrscheinlich als makellos empfinden.
Dabei ist der Wille, irgendwie nachvollziehen zu wollen, warum Menschen – und vor allem Frauen – Taylor Swift und ihre Musik mögen, eigentlich nur vorgetäuscht. Man möchte nicht wirklich »Gründe pro Swift« hören. Man gibt ein Statement ab. Deswegen ist die Frage so unnütz. Die eigentliche Botschaft ist, dass man glaubt, dass Swift-Fans keine Ahnung, keinen Geschmack oder einfach nicht mehr alle Latten am Zaun haben. Und nein, es wird auch nicht besser, wenn man sich fragt, warum nicht nur Teenager, sondern auch »ältere Frauen«, »Linke« oder gleich ganze Familien Swift feiern. Unterschwelliger Sexismus und eine arrogante Abgrenzung – mehr ist die Swift-Abwehr oft nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass Leute ständig »Ich kann mit K-Pop nix anfangen« oder »Ich habe noch nie Musik von Ariana Grande gehört« herausposaunt haben – bei Swift aber gehört das mittlerweile zum guten (oder schlechten) Ton.
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.
Aber gut, ich bin ja auch bekennender Swiftie – und war noch nie ein Hater. Ich war zwar erst eine »Swift ist mir egal«-Person – aber nicht in dem Ausmaß, dass ich es ständig in den sozialen Netzwerken verkünden musste. Und: Ich wurde irgendwann mutwillig Fan, weil schon die Grundsympathie da war.
Es war mitten in den ersten Lockdowns, ich hatte wie viele andere mehr Zeit als sonst, und als Swift 2020 direkt ihre beiden Alben »Folklore« und »Evermore« veröffentlichte, hatte ich einen Anlass, mich diesem Projekt ausgiebig zu widmen. Ihren Plattenkatalog kannte ich bereits etwas und schätzte ihn auch. Ich mochte auch die Doku »Miss Americana« über sie. So richtig ereilt hatte mich der Hype aber noch nicht, doch ich ahnte: Da ist noch Luft nach oben. Und ich hatte recht. Meine Konversion dauerte ungefähr drei Tage – dann war ich voll drin im Thema.
Meine These: Menschen, die sich ausgiebig mit Swifts Songs beschäftigen, werden mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit Fans. Man ist also bereit, Zeit zu investieren. Und zuzuhören. Aber das möchten passionierte Swift-Hasser*innen oder Swift-Egal-Finder*innen nicht so gerne. Und das ist auch ihr gutes Recht – unser aller Lebenszeit ist begrenzt. Warum also Zeit und Mühe in etwas packen, dass man sowieso schon als uninteressant wegsortiert hat? Hier würde ich niemanden einen Vorwurf machen.
Aber: Man muss das »Swift mag ich nicht« oder »Swift ist mir egal« als Glaubensbekenntnis nicht dauernd mit der Welt teilen. Oder ständig von Fans verlangen, sich zu rechtfertigen, ein Faible für einen Popstar zu haben. Oder insistierend herbeileiten zu wollen, was für eine angebliche Ausnahmebedrohung Taylor Swift ist. Verrät sie mit dem Daten von problematischen Typen den Feminismus? Zerstört sie mit ihrem Privatjet den Planeten? Ist sie mitschuldig an der Inflation? Kann man sie dafür verantwortlich machen, dass junge Frauen nicht mehr heiraten und keine Kinder mehr haben wollen? Beutet Swift mit ihrem Merch, ihrer riesengroßen Tour und ihren Platten in verschiedenen Ausführungen ihre Fans finanziell aus? Alles Vorwürfe, die so oder so ähnlich auch schon an andere weibliche Superstars gingen – an Beyoncé und Rihanna zum Beispiel.
In der Verzahnung von globalem Pop-Business und Kapitalismus wird es aber nicht allein Taylor Swift sein, die die alleinige Speerspitze des Kapitalismus ist. Klar, sie ist ultra-vermögend und gehört somit theoretisch zur »Eat the Rich«-Gruppe. Aber so ist leider das Pop-Universum. Menschen finden auf den A-Levels sehr oft Prominente gut, die reich oder unfassbar reich sind – was nun?
Auch den Dauerbrenner »Ich habe noch nie Musik von Taylor Swift gehört!« kann ich nicht mehr hören. Ja, und? Was macht man da jetzt? Bemitleiden oder beglückwünschen? Was, sie singt über gescheiterte Beziehungen und romantische Erlebnisse? Wie ungewöhnlich in einer Pop-Welt, in der etwa 90 Prozent aller Songs genau um diese Themen kreisen.
Das größte Problem von Taylor Swifts Musik scheint zu sein, dass sie harmlose Pop-Musik macht – von Frauen, für Frauen. Und dass sie nun die Städte mit mehrheitlich genau diesen Frauen befüllt. Das anstehende Eras-Tour-Spektakel passt nicht allen: Dass Gelsenkirchen nun zeitweilig zu »Swiftkirchen« umbenannt wurde, brachte einige Menschen im Internet zur Weißglut. Aber natürlich, zehntausende Fans, die Freundschaftsbänder verteilen, sich Glitzer an Kleidung und Make-Up heften, Songs auswendig mitsingen können und vielleicht die ein oder andere Träne vergießen, wenn sie ihr Idol sehen – das müssen auf jeden Fall verblendete und ignorante Hohlbratzen sein, denen nicht klar ist, wen und was sie da huldigen.
Der Hass auf Swift funktioniert ähnlich wie der Hass auf den Stanley Quencher Becher: Ein schönes Konzert oder einen kalten Schluck Wasser – nichts ist mehr harmlos, alles ist fragwürdig. Mir ist das schnurz, denn ich liebe Swift weiterhin. Und um die moralische Geschmackspanik noch ein bisschen weiter anzuheizen, kommt hier meine Prophezeiung: Taylor Swift wird die nächste Stevie Nicks, die als Mitglied der Band Fleetwood Mac bekannt wurde. Fight me, ich bin da ganz entspannt. Denn ich kenne den Songkatalog von Swift – und zwar sehr gut.
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