Eine Stunde Arbeit kostet 42 Euro

Die Löhne steigen: Deutschland liegt in der EU auf Platz fünf

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
In einer Werkhalle der verarbeitenden Industrie: Die Arbeitskosten je Stunde in der Privatwirtschaft haben in Deutschland 2023 um jahresdurchschnittlich fünf Prozent zugenommen.
In einer Werkhalle der verarbeitenden Industrie: Die Arbeitskosten je Stunde in der Privatwirtschaft haben in Deutschland 2023 um jahresdurchschnittlich fünf Prozent zugenommen.

Alle großen Wirtschaftsverbände warnen seit Monaten: Überbordende Bürokratie, Inflation in der Lieferkette, Energiekosten und Fachkräftemangel machten vielen Unternehmen in Deutschland zu schaffen. Was Politik und Gewerkschaften in guten Zeiten als verbandstypische Klagen auf hohem Niveau ansehen, wird nun ernster genommen.

Im vergangenen Jahr hatte sich die Erholung der deutschen Wirtschaft vom tiefen Einbruch im Corona-Jahr 2020 nicht weiter fortgesetzt. Aktuell liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preisbereinigt kaum höher als vor der Pandemie. Mit handfesten Folgen: Seit dem Sommer des vergangenen Jahres legen die Insolvenzen Monat für Monat zweistellig im Vorjahresvergleich zu, meldet das Statistische Bundesamt. Allein im ersten Quartal wurden mehr als 5000 Firmenpleiten gemeldet.

Eine zentrale Rolle für die konjunkturelle Entwicklung spielen steigende Löhne. Das erhöht die Nachfrage (und die Sparquote). Kleinbetriebe in der Logistik oder mittlere Unternehmen in den industriellen Lieferketten können jedoch höhere Kosten oft nicht auf ihre Preise umlegen, wie es beispielsweise dem Kfz-Handwerk gelingt.

Ein großes Thema sind Kosten und Löhne auch für die exportorientierte Wirtschaft. Die deutsche Ausfuhr – sie steht für die Hälfte des BIP – ist im Mai gegenüber dem Vormonat um 3,6 Prozent gesunken. Mit dem schlechten Frühjahr zeichnet sich ab, dass die Nachfrage aus dem Ausland die deutsche Konjunktur nicht beflügeln wird.

»Der deutschen Wirtschaft geht es nicht so gut«, sagte Direktor Sebastian Dullien während der Pressekonferenz des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag. An einer »Lohn-Preis-Spirale« liege es aber nicht. Zwar haben die Arbeitskosten je Arbeitsstunde in der Privatwirtschaft in Deutschland 2023 um jahresdurchschnittlich 5,0 Prozent zugenommen. »Das ist im langjährigen Vergleich ein relativ hoher Wert, aber spürbar weniger als 2022 mit einem Anstieg um 6,5 Prozent.«

Indessen wuchsen auch in anderen europäischen Ländern die Arbeitskosten erheblich. Mit 41,90 Euro pro Stunde liegt Deutschland – gleichauf mit den Niederlanden – an fünfter Stelle unter den 27 EU-Ländern. Nur Luxemburg, Dänemark, Belgien und Frankreich erreichen höhere Werte. Italien verzeichnet mit 29,20 Euro die höchsten Kosten in Südeuropa, bleibt aber immer noch unter dem EU-Mittel von 31,60 Euro.

Unterm Strich zeigt die 24-seitige IMK-Studie »Arbeits- und Lohnstückkostenentwicklung 2023«, dass sich innerhalb der Europäischen Union und wohl auch gegenüber den USA die deutsche Wettbewerbsposition insgesamt nicht verschlechtert hat. Das gilt selbst für das besonders exportabhängige verarbeitende Gewerbe. Dessen Arbeitskosten pro Arbeitsstunde betragen 46 Euro. Im EU-Vergleich rangiert man damit wie im Vorjahr auf Position vier – als Teil einer größeren Gruppe von Industrieländern, die deutlich über dem Euroraum-Durchschnitt von 37,70 Euro liegen.

Für Konzerne der Automobilindustrie, Teile der Chemie und des Maschinenbaus, die große Serien herstellen, zählen vor allem die Lohnstückkosten und damit die Arbeitskosten im Verhältnis zum Produktivitätsfortschritt. Hier weist Deutschland trotz kräftiger Anstiege 2022 und 2023 weiterhin »eine moderate Tendenz« auf.

Der Blick auf den mehrjährigen Trend ist nach Analyse des IMK am aussagekräftigsten, um die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu beurteilen. Die deutschen Lohnstückkosten sind seit der Jahrtausendwende, als die größte Volkswirtschaft Europas letztmalig eine fast ausgeglichene Leistungsbilanz aufwies (seitdem immer Überschüsse), im Jahresmittel um lediglich 1,6 Prozent gewachsen und damit schwächer als in anderen großen Mitgliedstaaten des Euroraums.

Die innereuropäische Wettbewerbsposition deutscher Konzerne verbesserte sich also in den letzten zwei Jahrzehnten. Dennoch sind die Topkonzerne schwach ins neue Jahr gestartet: Im ersten Quartal verzeichneten die Dax-Unternehmen einen Umsatzrückgang. Industrieunternehmen melden nach Rekordgewinnen im Vorjahr einen Gewinnrückgang um 7 Prozent.

Die höchsten Zuwachsraten erzielten die Deutsche Börse, Rheinmetall und Airbus. Über rückläufige Umsätze berichten neben den Automobilunternehmen vor allem die Chemiebranche sowie Energiekonzerne. Wie schon im Vorjahr liefen die Geschäfte auf dem europäischen Absatzmarkt besser als in anderen Regionen, in Asien schrumpften die Umsätze sogar um 11 Prozent.

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