Freispruch für Neonazi-Führer

Gericht sieht keine Beihilfe zu Mord an Samuel Yeboah vor 33 Jahren

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Gedenkstein für den 1991 bei einem Brandanschlag getöteten Samuel Yeboah in Saarlouis. Als Nebenkläger können die Überlebenden Revision gegen das neue Urteil einlegen.
Gedenkstein für den 1991 bei einem Brandanschlag getöteten Samuel Yeboah in Saarlouis. Als Nebenkläger können die Überlebenden Revision gegen das neue Urteil einlegen.

Fast 33 Jahre nach dem tödlichen Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis ist die weitere strafrechtliche Aufarbeitung erst einmal gescheitert. Im zweiten Prozess um den qualvollen Feuertod des 27 Jahre alten Ghanaers Samuel Yeboah wurde der mittlerweile 55jährige Peter St., langjähriger Anführer der Neonazi-Szene in der saarländischen Kleinstadt, am Dienstag vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen.

Das Oberlandesgericht in Koblenz hielt es nach mehr als viermonatiger Verhandlung nicht für erwiesen, dass der Beschuldigte seinen im vergangenen Jahr als Haupttäter verurteilten Freund und Kameraden Peter Werner S. zu dem rassistischen Mord bewegt hatte. »Der Nachweis, dass der Angeklagte die Inbrandsetzung des Gebäudes und damit den Tod von Menschen in Kauf genommen hat, hat in der Beweisaufnahme nicht geführt werden können«, sagte Senatsvorsitzender Konrad Leitges.

Es ging um einen Kneipenabend und letztlich um ein einziges Wort. Bevor der damalige Neonazi-Skinhead Peter Werner S. am frühen Morgen des 19. September 1991 losgezogen war, um die Asylunterkunft im Saarlouiser Ortsteil Fraulautern in Brand zu setzen, hatte er mit Peter St. und einem dritten militanten Neonazi beim Bier gesessen.

Man freute sich damals über die Serie rassistischer Übergriffe in dieser heute als »Baseballschlägerjahre« bezeichneten Nachwendezeit. Die Pogrome von Hoyerswerda hatten gerade eben begonnen, zuvor waren nach Angaben der Bundesanwaltschaft schon in acht anderen deutschen Städten Geflüchtetenheime mit Brandsätzen attackiert worden, von Chemnitz bis Gelsenkirchen. Und kurz vor dem Kneipenabend war im Fernsehen eine Reportage gelaufen, in der die Beteiligte eines neonazistischen Brandanschlags in Leipzig-Grünau kühl verkündet hatte: Beim nächsten Mal könnte es auch Tote geben.

In dieser Stimmung soll Peter St., der unumstrittene und von Peter Werner S. geradezu bewunderte Chef der Saarlouiser Skin-Szene, sinngemäß gesagt haben: »Hier müsste auch mal so was passieren.« Ob er auch das Wort »brennen« benutzt hatte, daran konnte oder wollte sich der Mann, der bei dem Besäufnis im »Bayrischen Hof« als Dritter dabei gewesen war, als Zeuge der Anklage vor Gericht allerdings nicht mehr erinnern. Außerdem beteuerte er, den Satz lediglich als Aufforderung zu »Randale« verstanden zu haben.

»Was der Bezugspunkt dieses ›so was‹ war, bleibt bloße Spekulation«, befand Richter Leitges. Mit dem Freispruch folgte das Gericht dem Antrag der Verteidigung. Die Bundesanwaltschaft hatte sechseinhalb Jahre Gefängnis gefordert: Angesichts des Gesprächskontexts sei doch völlig klar, was der Angeklagte mit »passieren« gemeint habe. Sein um Anerkennung buhlender Freund Peter Werner S. jedenfalls habe es verstanden – und das Feuer gelegt, »um dem Angeklagten zu gefallen«. Von »absoluter Loyalität« sei sein Verhältnis zu Peter St. geprägt gewesen, berichteten Zeug*innen aus der Szene, wie bei Hund und Herrchen. Oder wie es der Hauptbelastungszeuge ausdrückte: »Die waren ein Kopf und ein Arsch.«

Peter St. galt bis in dieses Jahrtausend hinein als eine zentrale Figur der Neonazi-Szene des Saarlands. Er gründete die »Kameradschaft Horst Wessel – Saarlautern«, die bundesweit bei rechten Demonstrationen aufmarschierte, und betrieb einen einschlägigen Versandhandel. Unter anderem wegen rassistischer und den Nationalsozialismus verharmlosender Bilder, die auf seinem Handy gefunden worden waren, bescheinigte ihm das Gericht, bis heute »ausländerfeindlich und nationalsozialistisch eingestellt« zu sein.

Zu den späten Prozessen um den Mord an Samuel Yeboah war es nur gekommen, weil sich Peter Werner S. gegenüber einer Zeugin mit dem Anschlag gebrüstet hatte. Im Oktober 2023 wurde der heute 53-Jährige zu einer Jugendstrafe von knapp sieben Jahren verurteilt. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Auch mit dem nun ergangenen Freispruch von Peter St. wird die Aufklärung wohl nicht enden: Bundesanwaltschaft und die als Nebenkläger auftretenden Überlebenden des Brandanschlags können Revision einlegen.

Zudem wird gegen den Ex-Neonazi, der als Hauptbelastungszeuge gegen Peter St. auftrat, wegen einer möglichen Tatbeteiligung noch ermittelt. Und im saarländischen Landtag bemüht sich ein Untersuchungsausschuss um die Aufarbeitung des staatlichen Versagens beim Umgang mit der rechtsextremen Gewalt der 90er Jahre. Dass Samuel Yeboah das Opfer eines rassistischen Anschlags geworden war, hatten Polizei und Politik im Saarland drei Jahrzehnte lang nicht hören wollen. Im Juni wurden die ersten Zeug*innen vernommen.

»Was der Bezugspunkt dieses ›so was‹ war, bleibt bloße Spekulation.«

Konrad Leitges Richter am OLG Koblenz
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