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»Ein reines Militärbündnis zur Durchsetzung von Machtinteressen«
Abrüstungsexperte Jan van Aken über das Jubiläum der Nato, den Rüstungswettlauf und die Rolle des Paktes in den aktuellen Konflikten
Gibt es in der 75-jährigen Geschichte der Nato auch Erfolge, die Linke anerkennen müssten, etwa die Integration der BRD in das Bündnis, um das Land von Alleingängen abzuhalten?
Tatsächlich höre ich außerhalb Deutschlands oft, die Nato sei nicht nur Schutz für Deutschland, sondern auch Schutz vor Deutschland. Wenn man an die Geschichte des letzten Jahrhunderts erinnert, ist da natürlich was dran. Deutschland militärisch einzuhegen war ein wichtiges Ziel für alle Nachbarländer. Allerdings hätte das erledigt werden können mit einem dauerhaften Verbot der Wiederbewaffnung, die dann aber von den westlichen Alliierten grünes Licht erhielt. Ohne dieses Okay hätte die BRD keine Bundeswehr aufbauen können. Auch in anderer Hinsicht kann es für die Nato keinen Applaus geben. Die Nato war nie eine Wertegemeinschaft, sondern immer ein reines Militärbündnis zur Durchsetzung von Machtinteressen. Wenn ein Nato-Land aus Eigeninteresse ein anderes Land völkerrechtswidrig überfallen möchte, dann tut es das. Die anderen Nato-Länder halten still. Denken wir an die USA 2003 im Irak oder die Türkei in Nordsyrien und im Nordirak.
Wie schätzen Sie das Nuklearpotenzial als Teil der Nato-Abschreckungsdoktrin ein?
Ganz aktuell droht Russland mit dem Einsatz von Atomwaffen. Aber auch die Nato schließt den Einsatz von Atomwaffen nicht aus. Am klarsten ist China, das den Ersteinsatz ausschließt. Ich halte die gesamte Abschreckungsdoktrin für gefährlich. Wir wissen mittlerweile, dass es in den 70er und 80er Jahren mehrfach aus Versehen zu einem Krieg hätte kommen können. Diese großen Arsenale bergen ein großes Risiko eines Atomkriegs aus Versehen. Je größer sie sind, desto höher das Risiko. Genau deshalb ist nukleare Abrüstung auf allen Seiten das Gebot der Stunde, ebenso ein Atomwaffenverbot.
23 der 32 Nato-Mitgliedsländer erreichen in diesem Jahr mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Militärausgaben: ein Erfolg für die Militaristen und eine Niederlage für alle, die auf friedliche Konfliktlösungen und Diplomatie setzen. Wohin bewegt sich die Nato in den nächsten Jahren?
Jan van Aken ist Referent für internationale Krisen und Konflikte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der promovierte Biologe arbeitete als Gentechnikexperte für Greenpeace und war von 2004 bis 2006 als Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen tätig. Von 2009 bis 2017 saß der 1961 in Reinbek bei Hamburg geborene van Aken als Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag.
Wir sehen gerade den Beginn eines neuen Wettrüstens. Russland hat die Runde eingeleitet, es hat in nur zwei Jahren seinen Rüstungsetat fast verdoppelt. Die Nato zieht nach, wobei dieser Nato-Beschluss mit den zwei Prozent auch schon 20 Jahre alt ist. Beide Seiten steigen in dem Konflikt massiv in die Aufrüstung ein – die klassische Spirale, die wir aus dem Kalten Krieg kennen: Hast du 100 Panzer, baue ich 1000, hast du 1000, baue ich 10 000. Das ist mit enormen Risiken verbunden und vor allem mit einer unglaublichen Ressourcenverschwendung.
Die Nato rechtfertigt die enormen Rüstungsausgaben mit der unsicheren Weltlage und den vielen Konflikten …
Blicken wir auf die Zahlen: Russland gibt kaufkraftbereinigt nicht einmal halb so viel Geld fürs Militär aus wie die europäischen Nato-Staaten alleine. Selbst wenn heute Trump gewählt würde und die USA aus der Nato aussteigen würden, gäben die europäischen Nato-Staaten inflationsbereinigt doppelt so viel fürs Militär aus wie Russland. Wo ist da die Bedrohung? Außerdem geht sehr viel Geld in die Auslandseinsätze, da ist die Nato auch verlogen: die Angst vor Russland schüren, um damit ihren globalen Machtanspruch abzusichern.
Welche Rolle spielt die Nato im internationalen Waffengeschäft?
China mischt mittlerweile groß auf den internationalen Waffenmärkten mit, aber die größten Waffenexporteure weltweit sind die Nato-Staaten. Das Schlagwort lautet dabei immer »Sicherheit«. Aber es ist ein völlig verfehltes Argument. Denn oft rüstet der Westen in einem Konflikt beide gegnerischen Seiten auf. Deutschland hat beispielsweise über Jahrzehnte sowohl die Türkei als auch Griechenland aufgerüstet, die sich gegeneinander hochrüsteten. Dabei geht es mitnichten um Sicherheit, sondern immer nur um Geld.
Wie ist die kürzliche Reise des ungarischen Premiers Orbán nach Moskau zu beurteilen? Kann er Vermittler sein?
Ich bin für jede diplomatische Initiative. Schön, wenn China, Südafrika, Brasilien oder der Vatikan – auch wenn ich kein Papst-Freund bin – etwas in die Wege zu leiten versuchen. Aber Orbán hat in kompletter Selbstüberschätzung gehandelt. Letztlich ist Ungarn Nato-Staat und kein Nato-Staat kann im Moment Vermittler sein.
Inwieweit ist die Nato in der Ukraine beteiligt?
Involviert ist sie, aber sie ist keine Kriegspartei. Der Begriff der Kriegspartei existiert im Völkerrecht nicht. Im Grunde genommen gilt eine Seite als Kriegspartei, wenn sie von einer beteiligten Seite so gesehen wird. Wenn Putin entscheidet, die Nato aufgrund der Waffenlieferungen als Kriegspartei anzusehen, dann ist sie das – ob sie das will oder nicht. Natürlich ist die Nato nicht neutral: Sie liefert Waffen und Geld an die Ukraine, unterstützt also voll und ganz eine Kriegspartei. Und damit ist sie als parteilicher Freund, der die militärischen Mittel der Ukraine stärkt, involviert. Dass damit die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen Russland und der Nato steigt, würde ich eher ausschließen. Ich glaube, dass die Nato kein Interesse an einer direkten militärischen Auseinandersetzung mit Russland hat. Denn sie weiß, dass am Ende eine nukleare Eskalation stünde.
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