Ferda Atamans heilige Schrift

Antidiskriminierungsbeauftragte hört in Spremberg Sorgen um die Demokratie

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Ferda Ataman vor der Kirche, die 2023 Ziel eines Brandanschlags war.
Ferda Ataman vor der Kirche, die 2023 Ziel eines Brandanschlags war.

An der evangelischen Kirche St. Michael in Spremberg weht eine Regenbogenfahne im Wind. Auf dieses Symbol der schwul-lesbischen Bewegung gab es vor einem Jahr einen Anschlag. Am Vorabend war in der Kirche eine Dokumentation über lesbische Liebe im KZ Ravensbrück gezeigt worden. Der schwarze Fleck, der von dem geworfenen Brandsatz an der Fassade zurückblieb, ist von einer mit Kreide gemalten Blume überdeckt. Bald soll der Putz frisch gestrichen werden.

Am Mittwoch schaut sich Ferda Ataman das an. Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes ist auf einer dreitägigen Tour durch Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Es sind die Bundesländer, in denen im September Landtagswahlen sind, bei denen Siege der AfD erwartet werden. »Wir gucken mit großer Sorge auf die Wahlen«, erklärt Birgit Peter vom Verein Opferperspektive. Schon bei der Kommunalwahl am 9. Juni hat sich etwas verschoben. Hier im Landkreis Spree-Neiße erzielte die AfD mit 38,2 Prozent der Stimmen ein Rekordergebnis.

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Auch Katharina König vom Bündnis Unteilbar Südbrandenburg nennt die Entwicklung »beunruhigend«. Der Rechtsruck in der Gesellschaft beeinflusse die anderen Parteien. »Wir wissen manchmal gar nicht mehr, wer noch unsere Verbündeten sind.« Selbst SPD und Grüne vertreten in der Asylpolitik inzwischen einzelne Positionen, die Unteilbar nicht teile. »Die Lauten werden als Stimme des Volkes wahrgenommen«, beklagt König. »Wir sind aber auch Bevölkerung.«

Aline Erdmann war Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Spremberg und ist es jetzt in Cottbus. Kürzlich fragte sie in einer 7. Klasse, welche Politiker die Schüler kennen. Genannt worden seien ihr mehrheitlich die Namen von AfD-Politikern, berichtet Erdmann. Solche Verhältnisse ziehen Diskriminierung nach sich. So hatte Erdmann eine Praktikantin, die 2016 in Deutschland ankam und Kopftuch trägt. Diese Praktikantin suche seit Jahren einen Ausbildungsplatz und erhalte keinen, sagt Erdmann. Am Telefon zeigten Firmen noch Interesse. Wenn die Frau dann persönlich mit ihrem Kopftuch erschien, gab es plötzlich doch nichts für sie.

Es ist eine ganze Reihe erschreckender Fälle, die Ataman zu hören bekommt. Ein Lehrer erzählt von einem Schulausflug in eine Moschee. Von über 200 Jugendlichen der Oberschule fehlte die Hälfte unentschuldigt. Am Erwin-Strittmatter-Gymnasium in Spremberg gibt es zwar eine Arbeitsgemeinschaft für Demokratie und Toleranz. Fünf, sechs Schüler beraten jede Woche, wie sie für ihre Werte einstehen können. Die AG erhielt auch schon einen Preis für Zivilcourage. Zurzeit diskutieren die Mitglieder mit ihren Mitschülern, ob am Gymnasium eine Regenbogenflagge aufgezogen wird. Auf der Straße werden sie dann angepöbelt, weil ihre Haltung bekannt ist. Irgendwer schmierte »linke Fotzenschule« ans Gymnasium und es dauerte ewig, bis dieser Schriftzug übertüncht wurde.

Den Gesprächspartnern von Ataman liegt aber daran, auch positive Dinge hervorzuheben. So gibt es in Spremberg eine AG Spurensuche. Sie konnte die Schicksale von über 120 Naziopfern recherchieren und in drei Jahren die Verlegung von sechs Stolpersteinen für solche Opfer organisieren. »Der Antifaschismus verbindet und das tut sehr gut«, sagt Mitstreiter Gunther Müller.

Ferda Ataman hört zu und sagt am Ende: »Ich danke im Namen der Bundesrepublik Deutschland für Ihre Arbeit.« Sie muss dabei schmunzeln, weil es schwülstig klingen mag. Aber sie hält es doch für einen Vorzug ihres Postens, so ein Lob nicht nur persönlich, sondern ganz offiziell aussprechen zu dürfen. Mitgebracht hat sie ihre »heilige Schrift«, die sie dann doch lieber nicht so genannt haben will, weil das in einer Kirche vielleicht wie Gotteslästerung wirkt. Denn sie zeigt nicht die Bibel, sondern ein Exemplar des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Vielen Diskriminierten kann sie auf dessen Grundlage helfen, nicht jedoch sozial Benachteiligten, wie sie bedauernd gesteht – etwa nicht Beziehern von Sozialleistungen, die als Mieter in einer schicken Wohngegend nicht akzeptiert werden.

Mittags geht es weiter nach Cottbus. Dort ist ein Spaziergang im Stadtteil Sandow die letzte Station von Atamans Reise.

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