Geschichte in ihren Widersprüchen zeigen

Sebastian Lotzer über die Veranstaltung »Solidarität mit Daniela Klette«

  • Interview: Sven Gerner
  • Lesedauer: 4 Min.
Solidaritätsbekundung auf einer abgestellten Matratze am Maybachufer in Kreuzberg
Solidaritätsbekundung auf einer abgestellten Matratze am Maybachufer in Kreuzberg

Das Thema »Rote Armee Fraktion« brennt noch immer, wie die Fahndung in Berlin und die Berichterstattung der letzten Monate gezeigt haben. Warum?

Die RAF ist ein Mythos, auch für ganz normale Menschen, mit denen man in der Kneipe spricht, die sich Leute wünschen, die den Herrschenden persönlich eins auswischen. Die aktuelle Brisanz liegt natürlich darin, dass Gesuchte abgetaucht sind und der ganze Polizeiapparat in der Hauptstadt mit Sondereinsatzkommandos und Panzerwagen aufmarschiert ist. Und es brennt auch in mir, weil die vergangenen Kämpfe Teil meiner eigenen Geschichte sind.

Inwiefern?

Ich komme aus der Berliner Hausbesetzerbewegung Anfang der 80er. Nach etwa anderthalb Jahren ist diese an Grenzen gekommen. Eine der Orientierungen, die dann auftauchten, war 1982 das Frontpapier der RAF, in dem eine »antiimperialistische Front in Westeuropa« vorgeschlagen wurde. Das hat viele von uns angesprochen, die auf der Suche waren. Auch Autonome haben das Papier diskutiert und sich dazu ins Verhältnis gesetzt. Viele, die sich in den 80ern in der RAF organisiert haben, kamen aus der Hausbesetzerbewegung. Eine ähnliche Entwicklung gab es auch in Italien: Als die dortige Autonomia-Bewegung ihren Zenit überschritten hatte, haben sich viele bewaffneten Gruppen angeschlossen.

interview

Sebastian Lotzer ist das Pseudonym eines 61 Jahre alten Autors, der Teil der autonomen Bewegung in Berlin war. In seinem Roman »Die schönste Jugend ist gefangen« hat er seine persönliche Auseinander­setzung mit der Geschichte der RAF verarbeitet. Er wird die Podiums­diskussion »Zur Geschichte des bewaffneten Kampfes – Solidarität mit Daniela Klette« mit Karl Heinz Dellwo (ehem. RAF), Ralf Reinders (ehem. Bewegung 2. Juni) und Lukas Theune (Rechtsanwalt von Daniela Klette) mode­rieren. Die Veranstaltung findet am Freitag, dem 12. Juli, um 19 Uhr im Biergarten Jockel statt, Ratibor­straße 14c, Berlin-Kreuzberg.

Nach der Verhaftung von Daniela Klette gab es in Berlin mehrere Solidaritätsbekundungen. Was motiviert Menschen dazu?

Ich glaube, dass Leute, die es politisch ernst meinen, auch ein Bedürfnis nach einem Antagonismus gegen die herrschenden Verhältnisse haben und – auch wenn sie erst Jahrzehnte später geboren wurden – die bewaffneten Kämpfe als Teil ihrer eigenen Geschichte begreifen. Sie haben auch eine emotionale Verbundenheit mit den Menschen, die damals gekämpft und dafür ihr Leben riskiert haben.

Der bewaffnete Kampf in Deutschland ist Geschichte. In einem Prozess gegen Daniela Klette werden die über 30 Jahre zurückliegenden Aktionen der RAF womöglich gar nicht angeklagt. Wieso gibt es trotzdem Sympathie?

Einige Leute – auch jenseits politischer Zusammenhänge – können dem viel abgewinnen, wenn eine Rentnergang loszieht und Geldtransporter ausraubt. Das ist ein Sujet, das wir aus amerikanischen Filmen kennen, wie dem mit Robert Redford, der in »Ein Gauner und Gentleman« mit seinen Kumpels Banken ausraubt. Hat es nicht etwas sehr Liebenswürdiges zu sagen: »Ich werde nicht im Alter durch die Straßen ziehen und Flaschen sammeln, damit ich mir was zu essen leisten kann, sondern – solange mein Körper mitmacht – hole mir die Kohle von denen, denen es nicht wehtut«? Das ist doch eine romantische Geschichte.

Nun, die Geschichte der RAF wird in den bürgerlichen Medien heute eher als ein Schauermärchen erzählt. Tatsächlich war nicht alles so rosig, wie Sie es darstellen.

Natürlich gab es Tote auf beiden Seiten. Und Aktionen, die scheiße gewesen sind: 1985 hat die RAF einen einfachen GI umgelegt, um mit dessen ID-Card in Frankfurt am Main auf das Headquarter der US-Airbase zu kommen und eine Bombe zu platzieren. Oder 1977 die Flugzeugentführung während der Schleyer-Entführung, über die die RAF vermutlich informiert war. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Eine kollektive Aufarbeitung der Beteiligten hat es leider nie gegeben. Unsere Veranstaltung kann das auch nicht leisten, aber ein Puzzleteil liefern, das die Geschichte lebendiger und auch in ihrer Widersprüchlichkeit darstellt.

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Wie, glauben Sie, kann es gelingen, in Zeiten der Hetze, in der Handlungen und Aktionen entpolitisiert werden, eine ernsthafte öffentliche Diskussion über den bewaffneten Kampf zu führen?

Dafür war es uns wichtig, mit Ralf Reinders und Karl-Heinz Dellwo zwei Protagonisten dieses Kampfes einzuladen, die über ihre Geschichte in der Bewegung 2.Juni und der RAF selbst Rede und Antwort stehen können.

Was können heutige Bewegungen daraus lernen?

Sie können lernen, wie man Fehler vermeidet. Lernen, wie man auch in harten Konfrontationen menschlich bleibt. Lernen, dass man mit gar nicht so viel Leuten auf der Seite der Herrschenden ganz schön viel Angst erzeugen kann. Und dass man, wenn man es wirklich ernst meint, Momente schaffen kann, in denen man auch ernst genommen wird.

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