Japans Zeitenwende: Kein Bock aufs Schießen

Die japanische Regierung will das Heer vergrößern, findet aber keine Soldaten

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.
Keine Lust auf Versteckspielen im Wald. Japan findet für seine Aufrüstungspläne nicht genügend Soldaten.
Keine Lust auf Versteckspielen im Wald. Japan findet für seine Aufrüstungspläne nicht genügend Soldaten.

Fragt man Yuushi Kodama, ob er den Job, den er neun Jahre lang gemacht hat, weiterempfehlen würde, überlegt er nicht lang: »Nein, alles in allem nicht.« Das liege nicht nur daran, dass sich Kodama jede Nacht ein karg eingerichtetes Zimmer mit vier bis sieben Kollegen teilen musste, ihm kaum Privatsphäre blieb. »Irgendwann wurde mir auch klar, dass man in diesem Job selbst dann kaum Geld verdient, wenn man aufsteigt.« Dann verließ er die Kaserne ein letztes Mal, kam nie wieder zurück.

Yuushi Kodama ist in seinem Heimatland ein offiziell sehr begehrter Typ: Er hat eine Ausbildung als Infanterist absolviert. Japans Regierung bemüht sich, dass es mehr Menschen dem heute 35-Jährigen gleichtun. Als Insider aber versteht er, warum das kaum jemand freiwillig macht. »Der Job empfiehlt sich für Leute, die ziellos sind.« Für alle anderen seien die Hierarchien zu steil, der Kommunikationsstil zu altmodisch. Wie im Militär eben. Doch was Yuushi Kodama da erzählt, kommt für Japan einer Blamage gleich.

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Korea, Taiwan, China: In Ostasien ist die Lage angespannt

Vor eineinhalb Jahren beschloss auch Japan, kurz nach Deutschland, eine Art Zeitenwende. In der Region ist die Lage ähnlich angespannt wie in Europa: Nicht nur wirkt sich die Invasion Russlands in der Ukraine auch in Japan mit höheren Rohstoffpreisen und Bedrohungsszenarien aus. Auf die Sanktionen hat Russland mit einer Annäherung zu Nordkorea reagiert. Zudem geht die Sorge um, dass China bald Taiwan angreifen könnte. Dann könnte Japan, das große US-Militärbasen beherbergt, in einen bewaffneten Konflikt gezogen werden.

Die »Nationale Sicherheitsstrategie«, die Japans Premierminister Fumio Kishida am 16. Dezember 2022 vor diesem Hintergrund verkündete, hat es in sich: Das laut Verfassung pazifistische Japan befinde sich im »ärgsten und kompliziertesten Sicherheitsumfeld« seit dem Zweiten Weltkrieg. Daher soll bis 2027 das Budget für die Selbstverteidigungskräfte auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts verdoppelt werden. Im Fall eines Angriffs auf Japan wären fortan auch Gegenschläge autorisiert.

Bewerberzahlen liegen weit unter den Erwartungen

Nur steht das Verteidigungsministerium damit vor einer riesigen Herausforderung: Wie kommt man an neue Soldaten, die im Ernstfall solche Gegenschläge durchführen könnten? Schon 2022 betrug die Truppenstärke nur 228 000 Personen, 19 000 weniger als angestrebt. Die Bewerberzahl lag mit 4000 nicht einmal bei der Hälfte des Zielwerts. Zuletzt zählte das Heer weniger Personal als 1990, als das Thema Verteidigung noch weniger akut erschien.

Dabei haben die Selbstverteidigungskräfte bereits die Hürden bei psychologischen Tests sowie das Höchstalter für Bewerber von 32 auf 26 gesenkt. Generalstabschef Yoshihide Yoshida fällte zuletzt ein harsches Urteil, das man über die vergangenen Jahre so ähnlich auch von deutschen Bundeswehrgenerälen zu hören bekam: »Mit unseren derzeitigen Fähigkeiten können wir Japans Sicherheit nicht aufrechterhalten.«

Japans Soldaten werden mies bezahlt

Fehlt es dem Job an Attraktivität? Yuushi Kodama sagt: »Stolz auf unsere Tätigkeit war bei uns fast niemand.« Heute unterhält er den Youtube-Kanal »Jieitai no Ace« über die Selbstverteidigungskräfte, lebt aber in Vietnam. »Hier ist das Leben angenehmer, ich habe auch mehr Geld.« Interesse an seinen Inhalten, die auch die Grenzen von Japans Verteidigungssektor zeigen, bestehe durchaus. Die häufigste Beschwerde von Ex-Soldaten? »Das Gehalt! Anfänger kriegen 150 000 Yen im Monat (rund 880 Euro).« Kost und Logis würden gestellt. »Aber ohne Geld bringt das Leben draußen wenig Spaß.«

Im vergangenen Jahr wurde eine Kommission einberufen, die befinden soll, wie man die Rekrutenzahl erhöhen könne. Ideen, die neben höheren Gehältern kursieren: Verschiedene Haarschnitte könnten erlaubt werden. Sogar Tattoos, die man in Japan mit dem organisierten Verbrechen der Yakuza in Verbindung bringt, sollten kein Ausschlusskriterium mehr sein. Anderswo werden modernere Sportanlagen in den Kasernen und mehr Fernseher gefordert. Nicht nur Yuushi Kodama glaubt, dass dies gute Schritte sind, es aber dennoch zu wenig sein könnte.

Alternde Bevölkerung bringt wenige Rekruten

Die Probleme Japans sind ähnlich zu jenen der Bundeswehr, die auch dringend nach Leuten sucht. Seit Jahrzehnten gefällt sich Japan als pazifistische Nation. Wer sich in der Vergangenheit den Selbstverteidigungskräften anschloss, wurde auf der Straße schon mal beschimpft. »Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Thema Verteidigung in beiden Ländern ein sehr unangenehmes«, sagt Raymond Yamamoto, Professor für Japanstudien mit Schwerpunkt auf Außen- und Sicherheitspolitik an der Uni Aarhus. »Gerade in Japan tat sich die Regierung mit Stärkungen der Verteidigung immer schwer.«

Hinzu kommt ein weiteres Problem, das man aus Deutschland kennt: die alternde Bevölkerung. »Es herrscht generell Arbeitskräftemangel«, sagt Yamamoto, »schon der Bausektor hat große Schwierigkeiten, Leute zu finden. Dann ist es für die weniger attraktive Landesverteidigung noch schwieriger.« Wegen der zunehmenden Komplexität von Waffensystemen dauert die Ausbildung von Rekruten zudem immer länger. »Früher brauchte man ein Jahr, bis ein Rekrut voll einsatzfähig war«, so Yamamoto, »heute sind es oft zwei Jahre.«

Drohnen sollen die Lösung sein

Ein Teil der Lösung könnte die Automatisierung der Kriegsführung sein, global längst ein Trend: Drohnen oder unbemannte Fahrzeuge sind hoch im Kurs. »Darin steckt viel Potenzial«, so Yamamoto. »Aber ohne menschlichen Einsatz funktioniert es noch lange nicht.« Um mehr Rekruten kommt Japan also kaum herum. Auf eine Anfrage, welche weiteren Schritte geplant sind, um die Personalengpässe zu lösen, haben die Selbstverteidigungskräfte nicht geantwortet. Es könnte auch daran liegen, dass die Situation heute so schwierig, ja fast aussichtslos scheint wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

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