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Apokalypse statt Eierlikör
Die USA sind das Mutterland der rastlosen Perversion, konstatiert Andreas Koristka
Die Zeiten, in denen Greise gemütlich auf der Parkbank saßen, Tauben fütterten und auf dem Gehweg fahrenden Fahrradfahren Ordnungsrufe erteilten, sind lange vorbei. Jeder kannte die freundlichen Rentner, die aus dem Fenster herausblickten. Die Ellbogen auf ein Kissen gestützt, das Gesicht zur Faust geballt: So harrten sie tagein und tagaus der Dinge und kontrollierten nebenbei die Ruhezeiten auf dem Kinderspielplatz.
Diese Rentner lebten den Traum eines gesitteten und würdevollen Ruhestandes. Sie hatten ein ganzes Arbeitsleben lang hart geschuftet, nun kam der wohlverdiente und süße Teil, in welchem man endlich genügend Zeit hatte, seinen Lebenspartner mit den eigenen redlich erworbenen Schrullen in den Wahnsinn zu treiben und sich auf den Veröffentlichungstermin der neuen TV-Zeitschrift zu freuen.
Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.
Dieses Dasein war beneidenswert. Doch heutzutage gönnt der Kapitalismus seinem ausgesorgten Personal dieses glückliche Leben nicht mehr. Um gesellschaftlich angesehen zu sein, reicht es nicht mehr, über den Hinterhof zu schreien. Stattdessen müssen sich heutige Rentner ständig Betätigungen suchen. Denn nichts ist verwerflicher als Müßiggang, Langeweile und demonstrativ zur Schau gestellter Griesgram. Statt sich am Ruhestand zu ergötzen, lernen Rentner nun Stand-up-Paddling, fahren mit dem Longboard zum Einkaufen oder – schlimmer noch – übernehmen ein Ehrenamt in der Stadtteilbibliothek oder bei der Tafel.
Das Mutterland dieser rastlosen Perversion sind selbstredend die USA. Dort müssen sich zwei Tattergreise sogar um das höchste Amt im Staate streiten. Man kann nur ahnen, wie getrieben diese armen Seelen sind. Wie viel lieber würden sie ihren Lebensabend wohl einfach mit dem Genuss einer Packung »Edle Tropfen in Nuss« und einem guten Glas Eierlikör verbringen?
Mein eigener Großvater machte sich nicht viel daraus, wenn er hin und wieder seinen Schlüssel verlegte. Für ihn gehörten diese kleinen Schusseligkeiten ab einem bestimmten Alter einfach dazu. Um wie viel ärgerlicher ist es allerdings, wenn man Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist, das Land von Nordkorea angegriffen wird und man sich partout nicht daran erinnern kann, wo man das kleine Köfferchen mit den Knöpfen für die Atombomben verstaut hat?
Oder wenn man sich nach einem harten Tag auf die Couch setzt, den Fernseher einschalten möchte und bemerkt, dass man nicht auf die Fernbedienung gedrückt hat, sondern auf die Knöpfe im besagten Atomkoffer? Das sind grauenhafte Vorstellungen. Wie peinlich ist es, am Ende seines Lebens der Lächerlichkeit preisgegeben zu sein, nachdem man versehentlich die Apokalypse verursacht hat?
Was stimmt mit einer Gesellschaft nicht, die ihre alten Menschen nicht vor diesen Gefahren schützt? Gibt es in den USA niemanden unter 65, der dazu bereit ist, Trump und Biden die Bürde des Amtes abzunehmen oder wenigstens die schweren Einkaufstüten ins Weiße Haus zu tragen?
Zum Glück sind die Zustände in Deutschland noch nicht ganz so schlimm. Obwohl man anmerken muss, dass Friedrich Merz auch schon seine 68 Jahre auf dem Buckel hat. Allerdings wird Merz als Kanzlerkandidat antreten müssen, weil der einzige ernstzunehmende Gegenkandidat in der Union, Philipp Amthor, leider noch nicht volljährig ist.
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