Deutsche Fußballer im Klammergriff der Politik

Deutschen Nationalisten fiel ihre traditionelle Politisierung der DFB-Fußballer ausgerechnet bei dieser Heim-EM schwerer als früher

  • Dietrich Schulze-Marmeling
  • Lesedauer: 5 Min.
Diese EM-Mannschaft war einem Fünftel aller Deutschen zu bunt. Und das betraf nicht nur ihre Trikots.
Diese EM-Mannschaft war einem Fünftel aller Deutschen zu bunt. Und das betraf nicht nur ihre Trikots.

Als Rudi Völler im Januar 2023 beim Deutschen Fußball-Bund zum Sportdirektor der Männer-Nationalmannschaft ernannt wurde, jubelte der rechte Fußball-Stammtisch und träumte von einem politischen wie kulturellen Rollback im angeblich so »links-grün versifften« DFB. Auch dank einiger populistischer Sprüche des Ex-Weltmeisters, der sich zum Einstand ohne Not robust zum Gendern, zu Klimaaktivisten und natürlich zur Regenbogenbinde geäußert hatte. Letztere war schließlich von rechts für das Scheitern bei der WM 2022 in Katar verantwortlich gemacht worden. »Die Krise des deutschen Fußballs ist eine Folge seiner Politisierung durch den DFB«, schrieb das AfD-Magazin »Zuerst«.

Schon bald aber wich die Begeisterung der Ernüchterung. Die Regenbogenbinde verschwand zwar bei den Männern, dafür gab es jetzt ein Auswärtstrikot in Pink und Lila. Im Netz jammerten die Rechten, das Trikot sei »undeutsch«, »schwul«, Ausdruck einer »Woke-Idiotie« und so weiter. »Bild«-Kolumnist Franz Josef Wagner war sich sogar sicher: »Franz Beckenbauer hätte so etwas niemals angezogen.«

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Rudi Völler hingegen fand das Trikot gut. Auch was das politische Engagement von Nationalspielern anbetraf, ruderte der Ex-Weltmeister etwas zurück: »Als ich Anfang der Achtziger in Bremen gespielt habe, erstarkte gerade die Friedensbewegung, die ich wohlwollend begleitet habe. Über so was muss ein Spieler nachdenken können«, sagte er dem Magazin »11 Freunde«. Man möge nur bitte nicht übertreiben.

Die politische Umarmung der Nationalelf hat Tradition, besonders in konservativen bis hin zu rechtsextremen Kreisen. Das NS-Regime hatte die Politisierung des Sports offiziell diskreditiert. Hinter den Kulissen wurde sie trotzdem betrieben. »Arisiert« wurde natürlich auch der Fußball. 1984 besuchte dann Helmut Kohl als erster Kanzler seit Adolf Hitler die Kabine der Nationalelf. Die vom CDU-Mann propagierte geistig-moralische Wende machte auch vor der Mannschaft nicht halt: Vor Länderspielen sangen die Spieler fortan die Nationalhymne mit. Kohls penetrante Instrumentalisierung des Nationalteams bestärkte viele Linke und Alternative in ihrer ohnehin vorhandenen Einstellung, dass man vom liebsten Kind der Mitbürger lieber die Finger lassen sollte.

Seither hat sich im Verhältnis von Linken und Rechten zur Nationalelf jedoch einiges gedreht. Diese bildet mittlerweile schließlich jene Gesellschaft ab, die von rechts täglich bekämpft wird. Im Umgang mit Inklusion und Diversität ist die Mannschaft vielleicht sogar weiter als große Teile Deutschlands. Beides bringt der DFB-Elf Sympathien von links ein, während sie von rechts mit Liebesentzug bestraft wird.

Schon vor der WM 2018 hatte die radikale Rechte der DFB-Elf ihre Unterstützung entzogen. Der Faschist Björn Höcke befand, dass diese mittlerweile genauso »bunt« sei wie alle erst- und zweitklassigen europäischen Vereinsmannschaften. Bis der DFB »wieder in patriotischer Hand« sei, erfreue er sich »an den Restbeständen meiner alten Fußballwelt«. Höckes Sympathien galten fortan den Isländern, vermutlich wegen ihres als »arisch« wahrgenommenen Erscheinungsbildes.

Als der damalige Bundestrainer Joachim Löw im zweiten Gruppenspiel gegen Schweden auch im Zuge des Fotodramas mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf Mittelfeldspieler Mesut Özil verzichtete, postete Alice Weidel: »AfD wirkt!« Was sie meinte, war, dass rassistisches Mobbing funktioniere.

Vor der EM 2024 hoffte die Rechte nun auf eine Wiederholung jenes Dramas. Dieses Mal war es kein Foto mit einem türkischen Autokraten, sondern eine Botschaft des schwarzen Innenverteidigers Antonio Rüdiger auf Instagram. Dieser wünschte seinen Followern einen frohen Ramadan. Der ehemalige »Bild«-Chef Julian Reichelt entdeckte auf dem Foto jedoch noch eine vermeintlich islamistische Geste, während sich Gleichgesinnte über eine angebliche »Afrikanisierung des heimischen Fußballs« oder eine »Multi-Kulti-Truppe mit einem ständig sinkenden Anteil Abstammungsdeutscher« echauffierten. Dass sich die DFB-Elf weder von der Erwartung, das Land mit begeisternden Darbietungen wieder zusammenzuführen, noch vom Hoffen der Rechten auf ihr Scheitern erdrücken ließ, spricht für sie.

Nach dem sportlichen Desaster in Katar war oft die Entpolitisierung des Fußballs gefordert worden – insbesondere von den Rechten, denen allerdings einzig Richtung und Inhalt der Politisierung missfallen hatten. Doch dafür war es längst zu spät. »Es ist Zeit für eine Zeitenwende im deutschen Fußball und in der Gesellschaft«, verkündete Philipp Lahm als Geschäftsführer der EM-Organisatoren. Das Turnier müsse als »Wendepunkt« begriffen werden, »für Europa, für die Gesellschaft, für uns alle«. Werte wie Demokratie und Freiheit, Vielfalt und Toleranz, Integration und Inklusion sollten gestärkt und gefeiert werden. Die EM 2024 als Gegenentwurf zu Katar 2022?

Lahm hoffte auf ein Sommermärchen 2.0. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass sich das Austragungsland seit 2006 extrem verändert hatte. Schließlich jubelten damals die Rechten darüber, dass die Fanmassen »endlich wieder Scharz-Rot-Gold« trugen. Heute fremdeln sie mit dem Team und damit auch mit seinen Millonen Fans.

Ein Sommermärchen, so viel ist am Finalwochenende klar, wurde es nicht. Die Spaltung der Gesellschaft ist real, was schon vor dem Turnier jene WDR-Umfrage bestätigt hatte, derzufolge sich 21 Prozent der Deutschen mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe wünschten. Auf der Pressekonferenz nach dem deutschen Turnier-Aus hielt Bundestrainer Nagelsmann eine Rede, die auch deshalb viel gelobt wurde, weil er ein neues Miteinander forderte und über das Sportliche hinausging. Dennoch blieb er in seinen Aussagen unbestimmt und widersprüchlich. Anders als sein ehemaliger Mentor, der derzeitige Trainer der Österreicher Ralf Rangnick, vermied es Nagelsmann, die AfD und den Rechtsextremismus beim Namen zu nennen. Vermutlich wollte er die politische Polarisierung nicht noch weiter anheizen – die kann der Fußball aber ohnehin nicht zuschütten.

Mit Bernd M. Beyer schreibt der Autor an einer politischen Geschichte der Nationalelf, die 2025 bei Edition Einwurf erscheinen wird.

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