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Die Kunst der Aneignung
Das Theater X hat mit dem fünftägigen Jugendtheaterhappening Festiwalla den Klassenkampf zum Thema gemacht
Das Theater als Institution hat ein Klassenproblem – und zwar in dreifacher Hinsicht», stellt Ahmed Shah von Theater X auf einem Panel zum Thema Kunst und Klassenkampf im Foyer der Berliner Volksbühne fest. Es werde von der Mittelschicht für die Mittelschicht gemacht und erzähle Geschichte über die Mittelschicht. Das in Berlin-Moabit gelegene Community Theater «Theater X» hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau an diesen Verhältnissen zu rütteln. Der kulturelle Reichtum Berlins sei nur einem kleinen Teil der Gesellschaft zugänglich, Menschen vom «Rand», insbesondere migrantische Jugendliche aus Arbeiterfamilien, blieben davon meist ausgeschlossen. «Wir können nicht warten, bis uns ein Platz gegeben wird. Wir müssen ihn uns selber nehmen.»
Als solch eine Aneignung einer großen Kulturinstitution vom «Rand» aus lässt sich die diesjährige Ausgabe des vom Theater X organisierten Festiwalla verstehen. Trotz bestehender politischer Differenzen, etwa im Bezug auf Israel/Palästina-Positionierungen, hat sich Festiwalla seinen Weg in eines der größten Theaterhäuser Berlins gebahnt und betreibt praktische Aneignung: Das Festival-Publikum schlendert gut gelaunt durch die Gänge, im Foyer kleben Plakate zu globalen Arbeitskämpfen, es finden Workshops und Partys statt, alles organisiert und begleitet von einem größtenteils ehrenamtlichen Team. «Die Volksbühne wurde von Arbeiter*innen durch Mitgliedsbeiträge aufgebaut und wir, die Arbeiterklasse, holen sie uns heute zurück und zeigen, wie Kultur anders funktionieren kann», so Ahmed Shah.
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Aber wie genau kann das aussehen? Welche Geschichten werden über das oft mit einem angestaubten Beigeschmack verbundene Thema Klassenkampf auf der Bühne erzählt? Und auf welche Weise? Eine Antwort lautet: mit der ganzen Vielfalt theatraler Mittel. Im Programm von Festiwalla findet sich unter anderem eine Straßenprotestoper über Big Tech und den Ausverkauf der Stadt (Der-Turm-Stürzt-Ein-Kollektiv/Lauratibor); ein kabarettistischer Abend über das deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall (S.K.E.T.); ein performativer Stadtspaziergang durch den ehemals roten Arbeiterbezirk Wedding und ein Tanzstück des nigerianischen Illuminatetheatre, das auf poetische Weise von Krieg, Flucht und Ausschluss erzählt.
Bei aller Vielfalt der Mittel wird dabei auch sichtbar, dass die theatralen Darstellungen von Kampf und Widerstand häufig dazu tendieren, die Form einer Anklage durch eine geschlossene Gruppe einzunehmen. «Wir wollen ›die da oben‹ mit Hohn und Spott überziehen», singt eine Figur von S.K.E.T. «We are who we are», sprechen die nigerianischen Tänzer*innen im Chor, während die Akteur*innen der Protestoper in einem zeremoniellen Akt die durchaus verführerische Personifizierung einer KI niederringen.
Einen inhaltlich komplexeren Zugang zu Klassenverhältnissen findet indes die Musiktheater-Produktion «J. From the Block» von NeXt Generation mit ihrer Überschreibung von Brechts «Heiliger Johanna der Schlachthöfe». J. ist Aktivistin und Content Creator für die vermeintlich gemeinwohlorientierte App GottaTreat. Die neuen Arbeiter*innen der Schlachthöfe sind die ausgebeuteten Rider der Lieferfirma Paviando und ihre Kolleg*innen in den dunklen Gängen der Warenhäuser. Die CEO ist als Migrantin aus der Türkei stolz auf das von ihr aufgebaute Unternehmen und singt den unzufriedenen Ridern bei jeder Gelegenheit vor, dass sie eine von ihnen sei. Dabei sitzt sie meistens auf einem Hometrainer und feuert ihre Mitarbeiter*innen zu mehr Produktivität an oder versucht mit allen Mitteln die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern. J. schwankt zwischen Betroffenheit, Self-Improvement-Aktivismus und echter Solidarität und verliert dabei am Ende selbst den Job. «J. From The Block» zeigt die Komplexität heutiger Arbeitskämpfe in Zeiten von flachen Hierarchien, digitalen Start-ups und windigen Subunternehmen und holt Brecht mit Pop-Musik und Humor in die Gegenwart.
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