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Mehr Freizeit nur für Gewerkschafter
Kann die IGBCE mit einer einmaligen Einigung den Mitgliederschwund umkehren?
Beschäftigte der Chemiebranche und Mitglieder der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) dürfen sich nach dem Abschluss der Tarifverhandlungen Ende Juni über einen zusätzlichen freien Tag pro Jahr freuen. In Jahren mit Mitgliedsjubiläum soll noch einer obendrauf kommen. »Lange hatten wir versucht, eine solche Vorteilsregelung durchzusetzen. In dieser Tarifrunde ist das endlich gelungen«, teilte IGBCE-Sprecher Lars Ruzic mit.
Damit schreibt die IGBCE Geschichte, ist die Gewerkschaft überzeugt. »Erstmals umfasst ein großer Flächentarifvertrag eine Vorteilsregelung für Gewerkschaftsmitglieder.« Die freien Tage erhalten alle nach Tarifvertrag beschäftigten Mitglieder, sofern sie länger als drei Monate in der Gewerkschaft organisiert sind. »Als Ausgleich für ihr gewerkschaftliches Engagement«, unterstreicht Ruzic. Sie müssen dazu nur ihre Mitgliedschaft beim Arbeitgeber nachweisen. In Unternehmen mit einem gewerkschaftsfeindlichen Betriebsklima könnte sich das als Hürde entpuppen.
Auch der langjährige erste Bevollmächtigte und erfahrene Gewerkschaftsführer der IG Metall Duisburg-Dinslaken, Dieter Lieske, unterstreicht im Gespräch mit »nd« die Bedeutung des zusätzlichen freien Tages: »Das kommt gut an und wertschätzt alle organisierten Mitglieder für ihr Engagement in einer Gewerkschaft«, erklärt er. Auch die IG Metall geht in der Metall- und Elektroindustrie mit der Forderung nach einem Bonus für Mitglieder im Herbst in die Verhandlungen.
Für Gewerkschaften sind solche Sonderregelungen zunehmend von Bedeutung, weil sie in den letzten Jahrzehnten mit sinkenden Mitgliedszahlen zu kämpfen haben. Darunter hat insbesondere die IGBCE mit dem Wegfall der Zechen gelitten. Hatte die Organisation im Jahr 2012 noch etwas über 670 000 Mitglieder, waren das im Jahr 2023 rund 100 000 weniger.
Vor dem Hintergrund verbucht die IGBCE den jüngsten Tarifabschluss in der chemisch-pharmazeutischen Industrie als besonderen Erfolg. »Von Mitgliedern der IGBCE gab es vor allem viele positive Rückmeldungen zu dem freien Tag«, heißt es auf nd-Anfrage aus der IGBCE. Seit dem Tarifabschluss seien mehrere Tausend Beschäftigte der Gewerkschaft beigetreten.
Neben den zusätzlichen freien Tagen hat die Gewerkschaft auch eine Steigerung der Löhne und Gehälter der etwa 585 000 tarifgebundenen Beschäftigten erstritten. Die sollen in zwei Stufen um 6,85 Prozent steigen: Ab September dieses Jahres gibt es zwei Prozent mehr Lohn, im April kommenden Jahres dann noch einmal 4,85 Prozent. »Mit diesem Tarifabschluss nah an unserer Forderung geht es bei den Reallöhnen für die Chemie-Beschäftigten endlich wieder bergauf«, betont IGBCE-Verhandlungsführer Oliver Heinrich.
Um zu verhindern, dass die Beschäftigten weiter ihre Kaufkraft verlieren, hatte die IGBCE eine Erhöhung der Entgelte um sieben Prozent gefordert – und letztlich fast eins zu eins durchgesetzt. Daher sah man auch von potenziellen Warnstreiks nach der Friedenspflicht ab, heißt es auf nd-Anfrage. Dennoch rief die Gewerkschaft zu Protestaktionen außerhalb der Arbeitszeit an mehreren großen Chemiestandorten in Deutschland mit Tausenden Teilnehmern auf.
Die Arbeitgeber verwiesen auf die derzeit schwache Konjunktur mit geringer Nachfrage und hohem Wettbewerbsdruck, die auf strukturelle Nachteile wie teure Energie, hohe Arbeitskosten und umfangreiche Bürokratie treffen. Tatsächlich hat die Branche 2023 nur 230 Milliarden Euro umgesetzt. Das war ein Minus von zwölf Prozent zu 2022 mit Erlösen von 261 Milliarden Euro.
Zum Vergleich: Die deutsche Elektroindustrie erzielte im vergangenen Jahr eine Umsatzsteigerung und setzte etwa 240 Milliarden Euro um. Das Durchschnittsgehalt von Beschäftigten in der Branche soll aber immerhin knapp 5000 Euro brutto höher liegen. Doch auch die Beschäftigten der Chemie-Industrie kamen tarifpolitisch nie zu kurz, erklärt Lieske. »Die Löhne sind immer noch eine Hausmarke. Es werden weiterhin hohe Abschlüsse erzielt.«
Gute Nachrichten also für die IGBCE-Mitglieder. Und auch für die Chemie-Industrie ist Besserung in Sicht. Der wichtige Teilbereich Pharma konnte durch Bestellungen aus den USA und Europa den Umsatz in den ersten vier Monaten dieses Jahres um knapp fünf Prozent steigern, wie der Verband der Chemischen Industrie (VCI) kürzlich berichtete. Dadurch konnte das weiterhin schwache Inlandsgeschäft ausgeglichen werden. Produktion und Preise stiegen leicht an; die weiteren Aussichten wurden als stabil bewertet.
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