Und was ist mit Cum-Cum?

Ex-Oberstaatsanwältin fordert Aufarbeitung eines weiteren milliardenschweren Steuerskandals

Anne Brorhilker in ihrer Zeit als Oberstaatsanwältin bei einem Verfahren vor dem Landgericht Bonn
Anne Brorhilker in ihrer Zeit als Oberstaatsanwältin bei einem Verfahren vor dem Landgericht Bonn

Wenn Geschäfte mehrfach grenzüberschreitend getätigt werden, kann dies zu kriminellen Aktivitäten einladen. Unterschiedliche Rechts- und Steuersysteme sowie Intransparenz bieten entsprechende Möglichkeiten. Doch während in der EU der Umsatzsteuerbetrug bei »Warenkreisgeschäften« dank Informationsaustausch sowie straf- und steuerechtlicher Kooperation von Behörden verschiedener Staaten inzwischen erheblich erschwert wird, gilt dies für »Aktienkreisgeschäfte« nicht. Das zumindest ist der Eindruck von Anne Brorhilker, der neuen Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende. Sie wittert hier Einflussnahme durch die sehr gut vernetzte Finanzlobby: »Das ist eine große, sehr gut vernetzte Branche, die ein großes Interesse daran hat, effektive Kontrollen und Strafverfolgung zu verhindern, und die damit durchkommt«, sagte Brorhilker am Dienstag bei einer Online-Pressekonferenz.

Dabei geht es um gewaltige Summen: Bei sogenannten Cum-Cum-Geschäften sind allein den hiesigen Finanzbehörden laut vorsichtigen Expertenschätzungen rund 28,5 Milliarden Euro an fälligen Steuerzahlungen vorenthalten worden. Kurz vor dem Dividendenstichtag werden Aktien hiesiger Unternehmen von steuerpflichtigen Ausländern, darunter große Staatsfonds, an inländische Banken verkauft oder verliehen, deren Dividendeneinnahme körperschaftsteuerbefreit ist. Kurz darauf werden sie zurückgegeben, mit deutlichem Gewinn. Im Unterschied zu den bekannteren Cum-Ex-Deals, bei denen es um betrügerische, teils mehrfache Rückerstattungen nicht bezahlter Steuern geht, gibt es hier keinen Überblick darüber, wer sich besonders stark bedient hat. Nach ersten Erkenntnissen von Finanzwende waren die Geschäfte aber breiter gestreut – auch kleine kommunale Sparkassen und genossenschaftliche Volksbanken mischten hier eifrig mit.

Ein weiterer Unterschied: Es gibt noch keine strafrechtlichen Verfahren, und die fälligen Steuern werden bisher praktisch nicht eingetrieben, obwohl bereits im Jahr 2015 der Bundesfinanzhof (BFH) höchstrichterlich klärte, wann Cum-Cum-Deals unzulässig sind. Außerdem dauerte es geschlagene sechs Jahre, bis das Bundesfinanzministerium in einem Schreiben klarstellte, dass die Steuererklärungen der Banken nachträglich berichtigt werden müssen.

Die Juristin sieht bei der mangelhaften Bekämpfung von Finanzkriminalität ein systemisches Problem. Aus diesem Grund hatte sie ihre Tätigkeit als leitende Oberstaatsanwältin in Köln für den Cum-Ex-Bereich vor einigen Monaten beendet, um künftig bei Finanzwende zu arbeiten, statt wie bisher Einzelfälle zu verfolgen. Um »das Übel an der Wurzel zu packen«, wie sie es ausdrückt. Und sie möchte das tun, was ihr als Beamtin nicht erlaubt war: politische Forderungen zur Bekämpfung von Finanzkriminalität stellen. Dazu gehöre, die Justiz besser aufzustellen, den Lobbyeinfluss zu begrenzen und Steuervergehen nicht milder zu ahnden als Sozialbetrug. Es brauche mehr Kontrolleure und Ermittler, aber vor allem eine Zentralisierung des staatlichen Vorgehens bei einer Stelle.

Finanzwende versucht gerade herauszufinden, warum bei Cum-Cum so viele Jahre vergeudet wurden, und hat im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes diverse Anfragen bei Behörden von Bund und Ländern gestellt. Aufmerksam wurde man nun auf ein erstes Schreiben aus dem Bundesministerium zu dem Komplex von 2016. Darin wurde eine Ausnahme für legale Deals formuliert, die sich nicht in dem BFH-Urteil findet und nachträglich viele Geschäfte zulässig gemacht hätte. Wie diese Formulierung damals zustande kam, wollten die Behörden bisher nicht verraten. Daher klagt Finanzwende auf Herausgabe der Dokumente. Im Raum steht demnach der Verdacht, dass insbesondere die hessische Landesregierung die schützende Hand über die mächtige Frankfurter Bankenwelt gehalten haben könnte. Oder gab es im Bundesministerium wichtige Füsprecher?

Wie dem auch sei: Bei Finanzwende ist man sich sicher, das es bei Cum-Cum am politischen Willen zur Aufarbeitung fehlt. Und das, obwohl angesichts fehlenden Geldes zuletzt wieder hart über Kürzungen im Bundeshaushalt etwa beim Bürgergeld verhandelt wurde. »Der Finanzminister verliert kein einziges Wort über die vielen Cum-Cum-Milliarden«, kritisiert Finanzwende-Gründer Gerhard Schick. Christian Lindners Bankenfreundschaft sei ein Risiko für die Haushalte von Bund und Ländern, so der ehemalige Grünen-Politiker. Schick verweist auf Dänemark, wo versucht wird, mit Klagen in London Geld aktiv zurückzuholen.

Allein wird man das Problem aber nicht in den Griff bekommen, es braucht laut Brohilker mehr Kooperation europäischer Staaten. Seit die USA deutlich schärfer gegen Finanzkriminalität vorgehen, nehmen die großen Investmentakteure vor allem Europa und dank des Steuergeheimnisses und strenger Datenschutzbestimmungen besonders Deutschland ins Visier.

»Das ist eine große, sehr gut vernetzte Branche, die ein großes Interesse daran hat, effektive Kontrollen und Strafverfolgung zu verhindern, und die damit durchkommt.«

Anne Brorhilker Finanzwende
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