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Mahnwache für Chedjou: Kerzen für den Kameruner
Eine Mahnwache am Samstag soll an William Chedjou erinnern
Dutzende rote und weiße Kerzen liegen gesammelt neben ausgetrockneten Blumensträußen. Zwischen den Kerzen liegt Wachs, das geschmolzen ist und längst wieder verhärtet am Boden klebt. Inmitten aller Farben das Foto, das einen jungen, bärtigen Mann mit einem Strohhut zeigt, mit einem leichten Schmunzeln auf seinen Lippen, sein Zeige- und Mittelfinger zu einem V geformt. Am Zaun über den Kerzen und Blumen hängt ein Plakat: »Amis solidaire de Berlin« steht da auf Französisch, also »solidarische Freunde aus Berlin«. Darüber: »Ruhe in Frieden« und »Rest in Peace«. Rechts davon, auf Pappe und Deutsch: »Die Nachbarschaft im Gesundbrunnen wünscht der Familie von William C. herzliches Beileid.«
Eine Woche ist es her, seit William Chedjou, 37 Jahre alt, wegen einer Parkplatzlücke in der Böttgerstraße in Gesundbrunnen sterben musste. Laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eskalierte am Donnerstag, dem 11. Juli, gegen 18 Uhr ein Streit zwischen dem 37-Jährigen und einem 29-jährigen Mann, dem mutmaßlichen Täter. Chedjou wurde im Zuge des Streits ein Messer in den Bauch gestochen, anschließend starb er im Krankenhaus an seiner Verletzung. Der mutmaßliche Täter wurde laut Polizei und Staatsanwaltschaft noch am selben Abend festgenommen. Die beiden sollen sich nicht gekannt haben.
Nach der Tat kursierte die Schlagzeile »Messerstecherei wegen Parkplatz am Gesundbrunnen«. Kaum eine Rolle spielte in der Berichterstattung dagegen, dass ein rassistisches Motiv nicht ausgeschlossen werden kann. Dieser Verdacht erhärtet sich mit der Erkenntnis, dass Chedjou ein Schwarzer aus Kamerun war.
»Gerechtigkeit im Namen von William Chedjou!« lautet entsprechend der Aufruf der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V. (ISD). Darin fordert sie eine »lückenlose Aufklärung des tödlichen Angriffs«, eine »differenzierte Erfassung von Anti-Schwarzem Rassismus« und »konsequente Bildung(s)- und Förderungsmaßnahmen gegen Anti-Schwarzen Rassismus«.
»Schwarze Menschen werden an einem unverhältnismäßig harten Maßstab gemessen.«
Aufruf von Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V.
Die ISD betont, dass Angriffe gegen Schwarze keine Einzelfälle seien. So wurden im Juni in Grevesmühlen ghanaische Kinder auf Rollern angegriffen. Im Februar wurde in Hamburg der Kinderwagen einer Schwarzen Familie angezündet und die Wohnungstür mit rassistischen Sprüchen beschmiert. Gleichzeitig stritten sich weiße Menschen alltäglich »um unzählige Banalitäten, ohne dafür mit ihrem Leben zu bezahlen«, schreibt die ISD in ihrem Aufruf weiter. Sind in den »Banalitäten« Schwarze Menschen betroffen, werden sie aufgrund von Vorurteilen aber als Bedrohung betrachtet. »Die Folge: Schwarze Menschen werden an einem unverhältnismäßig harten Maßstab gemessen«, so die Initiative.
Neben den geschmolzenen Kerzen am Tatort, der mittlerweile Gedenkort für William Chedjou ist, klebt auch ein groß ausgedruckter QR-Code. Scannt man diesen, führt er direkt zur Spendenseite. Der Organisator, Kevin Des Roses Wounang, sammelt auf Bitte der hinterbliebenen Familie Geld für die Beerdigung von Chedjou.
Freund*innen Chedjous sollen am Samstag auch eine Demonstration geplant haben. Eine konkrete Ansprechperson gebe es aber noch nicht, erklärt ein Mitorganisator dem »nd«. Fest steht, dass die Kundgebung am Samstag, dem 20. Juli, um 15 Uhr in der Böttgerstraße 16 starten soll. Die Strecke soll etwa elf Kilometer lang sein und bevorzugt auch das Brandenburger Tor einschließen. Die genaue Route wird derzeit noch mit der Polizei ausgehandelt. Diese selbst gibt keine Rückmeldung auf Anfragen des »nd«.
Weitere Anfragen des »nd« lässt die Berliner Polizei ebenfalls unbeantwortet. So soll es nach der Tat am Donnerstagabend eine Auseinandersetzung zwischen Bekannten und Verwandten des Opfers und ihr gegeben haben. Laut Polizei sollen 30 bis 40 Menschen versucht haben, in den abgesperrten Bereich einzudringen. Daraufhin sollen sie Flaschen auf Beamt*innen geworfen haben, woraufhin fünf Polizist*innen leicht verletzt wurden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagte der Presse, dass sie nachvollziehen könne, dass Angehörige Raum für Emotionen bräuchten. Es dürfe aber nicht sein, dass polizeiliche Maßnahmen behindert werden.
Diese Aussage kritisiert die ISD. Anstatt über wirksame Maßnahmen zum Schutz Schwarzer Menschen zu sprechen, berichte die Polizei davon, dass Angehörige und Mitglieder der Schwarzen Community »sich nicht vom Ort des Geschehens verweisen lassen wollten«, schreibt die ISD. Der Polizei sei nicht klar, dass der Vorfall »nur die Spitze des Anti-Schwarzen Eisberges« sei. Wird eine Schwarze Person aus trivialen Gründen angegriffen oder gar ermordet, sei es ein Angriff gegen die gesamte Community. Anstatt des Platzes verwiesen zu werden, will die ISD Raum einnehmen, wie durch die Demonstration am Samstag.
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