Mexiko: Zwischen Vertreibung und politischer Repräsentation

Bedrohte indigene Gemeinden leisten in Mexiko seit 40 Jahren Widerstand gegen Land- und Ressourcenraub. Manche Aktivist*innen wurden deshalb ermordet

  • Kathrin Zeiske
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Sierra Tarahumara, eine Region in Nordmexiko mit Wäldern, hohen Bergen und tiefen Schluchten leben indigene Gemeinschaften der Rarámuri.
In der Sierra Tarahumara, eine Region in Nordmexiko mit Wäldern, hohen Bergen und tiefen Schluchten leben indigene Gemeinschaften der Rarámuri.

Rarámuri-Gemeinschaften flohen während der spanischen Konquista aus dem Tiefland des heutigen Nordmexiko ins schwer zugängliche Gebirge. Heute holen sie Infrastruktur-, Minen- und Energieprojekte dort ein. In den letzten Jahrzehnten haben Gemeinden immer wieder versucht, sich diesen entgegenzustellen. Ende Mai dieses Jahres konnte die Gemeinde El Trigo vor dem Obersten Gerichtshof eine einstweilige Verfügung gegen ein Staudammprojekt erreichen, das an das Minenunternehmen El Fresnillo zur Energiegewinnung für seine Bergbauaktivitäten vergeben wurde. Indigene Gemeinschaften werden bei solchen Projekten weder informiert noch befragt und sehen sich in ihrer Subsistenzwirtschaft wie auch in ihrem spirituellen Naturverständnis beeinträchtigt.

Rarámuri-Aktivisten, die sich gegen solche Projekte stellen, sind in den letzten Jahren immer wieder Opfer von Morden geworden. Denn die mexikanischen Drogenkartelle sind oftmals direkt oder indirekt an Gewinnen beteiligt. Die Kartelle nutzen die Sierra auch für illegalen Holzeinschlag sowie Marihuana- und Schlafmohnanbau. Die Sierra Tarahumara ist Teil des Goldenen Dreiecks zwischen Chihuahua, Sinaloa und Sonora, das vom Sinaloa-Kartell beherrscht wird. Blutige Kämpfe zwischen diesem und dem Kartell Neue Generation Jalisco sowie Untergruppen des Juarez-Kartells zwingen Angehörige indigener Gemeinden zur Flucht. Enteignungen, Zwangsumsiedlungen und Zwangsrekrutierungen sind an der Tagesordnung.

Die Sierra droht wegen illegaler Abholzung in weniger als 30 Jahren zu verwüsten.

In der Gemeinde Coloradas de la Virgen wurde zuletzt im März 2022 José Trinidad Baldenegro hingerichtet, weil er sich gegen illegale Abholzung und Plantagenwirtschaft gestellt hatte. Einige Jahre zuvor waren schon sein Bruder Isidro Baldenegro López und der Menschenrechtsverteidiger Julián Carrillo Martínez umgebracht worden. Auch der Vater von Jose und Isidro war in den 80er Jahren ermordet worden, denn die Gemeinde leistet seit 40 Jahren Widerstand gegen Land- und Ressourcenraub. Dutzende Familien aus der Gemeinde mussten in nahe gelegene Städte oder andere Städte im Bundesstaat fliehen.

Nichtregierungsorganisationen in Chihuahua-Stadt prangern nicht nur die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Sierra an; sie weisen auch auf die besondere Rolle der bedrohten Rarámuri-Gemeinschaften im Schutz der Wälder hin. Denn die Sierra droht wegen übermäßiger illegaler Abholzung in weniger als 30 Jahren zu verwüsten. Schon jetzt sind Bodenerosionen und Dürren ein Grund für den Exodus aus der Sierra Tarahumara.

Die Stimmen der Vertriebenen fehlten in ihren Herkunftsgemeinden bei den Wahlen in Mexiko am vergangenen 2. Juni. Dennoch nahmen viele indigene Binnenflüchtlinge viele Stunden des Wartens auf sich, um an den Urnen für Nichtansässige in anderen Städten zu wählen, damit ihre Stimme bei den Auszählungen für ihre Herkunftsgemeinde berücksichtigt werden konnte. So gewann die Regierungspartei Morena zum ersten Mal die Hälfte aller Gemeindevorstände in der Sierra Tarahumara. Eine klare Wahl gegen die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die in der Vergangenheit Megaprojekten und der Vermarktung der Natur Vorschub geleistet hatte.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Bundesstaates Chihuahua kandidierte mit Mayté Regina Gardea eine Rarámuri-Transfrau für die Partei Bürgerbewegung als Abgeordnete. Doch lediglich in der Kleinstadt Guachochi wurde mit Alejandro Hernandez erstmals ein indigener Bürgermeister gewählt.

Im Wahlkampf hatte es für Empörung gesorgt, dass in der offiziellen Debatte zwischen den Kandidat*innen der Gemeinde keine Übersetzung von der bundesstaatlichen Wahlbehörde gestellt wurde. Denn die Kandidatin Candelaria Cruz Aguirre entschied sich zum besseren Verständnis für ihre mehrheitlich bilingualen potenziellen Wähler*innen in ihrer Muttersprache zu reden. Dieser Vorfall hat Fragen zur Inklusion und zum Respekt der kulturellen Vielfalt in Wahlprozessen aufgeworfen, insbesondere in Gebieten mit einer erheblichen indigenen Präsenz.

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