- Politik
- Klimaprotest
Vier bis fünf Jahre Haft für UK-Klimaaktivisten
Mitglieder der Gruppe Just Stop Oil erhalten die höchsten Strafen, die bislang gegen friedlichen Umweltprotest in Großbritannien ausgesprochen wurden
Eine Frau, den Tränen nahe: »Ich bin sehgeschädigt und habe Höhenangst – und ich stehe hier auf einer Schilderbrücke über der M25«, sagt die Aktivistin der britischen Umweltaktivistengruppe Just Stop Oil in eine Kamera, während unter ihr, auf der Londoner Ringautobahn M25, hupende Autos vorbeirauschen und der Wind ins Mikrofon faucht. Sie war nur eine von knapp 50 Personen, die im November 2022 den Verkehr der M25 durch das Erklimmen von Schilderbrücken immer wieder zum Stehen brachten.
Nun wurden die vermeintlichen Drahtzieher dieser Protestaktion von einem Londoner Gericht zu Rekordstrafen verurteilt: Lucia Whittaker De Abreu, Cressida Gethin, Louise Lancaster und Daniel Shaw zu vier Jahren Gefängnis; Roger Hallam, der neben Just Stop Oil auch Extinction Rebellion mitgründete, erhielt fünf Jahre Haft.
Neues Gesetz für höheres Strafmaß
Verurteilt wurden die Aktivist*innen nicht für die Teilnahme am Protest, sondern wegen der »Verschwörung zur Erregung öffentlichen Ärgernisses«. Dabei handelt es sich um ein neues Gesetz, das störende Proteste unterbinden soll. Es wurde im Jahr der M25-Aktion eingeführt. Demnach können Aktionen, die der Öffentlichkeit »schwere Schäden« zufügen, mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Bei der angeblichen Verschwörung handelt es sich um eine öffentliche Videokonferenz. Ein Journalist der britischen Boulevardzeitung »The Sun« hatte verdeckt an diesem digitalen Treffen teilgenommen und Informationen an die Behörden weitergegeben. Die nun Verurteilten sollen dabei versucht haben, Mitstreiter zu gewinnen. Wie die Tageszeitung »The Guardian« schreibt, sagt Roger Hallam in dem Call, dass die Gruppe »die größte Störung in der modernen Geschichte Großbritanniens« beabsichtige, um die Forderung an die Regierung zu unterstreichen, keine weiteren Lizenzen für die Öl- und Gasförderung auszugeben.
Vom besorgten Aktivisten zum Fanatiker?
Nach Angaben britischer Medien habe der Protest zu Kosten von umgerechnet 2,2 Millionen Euro geführt; zwei Lastwagen kollidierten miteinander und ein Motorradfahrer der Polizei stürzte.
»Tatsache ist, dass jeder von Ihnen vor einiger Zeit die Grenze vom besorgten Aktivisten zum Fanatiker überschritten hat«, urteilte der Richter nach Angaben der britischen Presseagentur PA. »Sie haben sich selbst zu den alleinigen Schiedsrichtern darüber ernannt, was gegen den Klimawandel getan werden soll.«
Die Gruppe Just Stop Oil nannte die Entscheidung eine »obszöne Perversion der Justiz«. Ihre Unterstützer seien zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, obwohl sie nicht mehr getan hätten, als an einem Videotelefonat teilzunehmen.
Ein dunkler Tag für die Menschenrechte
Kritik an dem Urteil kam auch von Michel Forst, dem Sonderberichterstatter zur Situation von Umweltschützern der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE). »Heute ist ein sehr dunkler Tag für die grundlegenden Menschenrechte im Vereinigten Königreich«, kommentierte er das Urteil. Er beanstandete vor allem das Strafmaß: Dieses sei weder verhältnismäßig noch diene es einem legitimen öffentlichen Zweck. Damit widerspreche es der Aarhus-Konvention, dem ersten völkerrechtlichen Vertrag, der jeder Person Rechte im Umweltschutz zuschreibt.
Zudem wies Forst darauf hin, dass die Verurteilten bereits vor dem Urteil über 100 Tage in Untersuchungshaft saßen und in den eineinhalb Jahren vor dem Prozess »drakonische Kautionsauflagen« erfüllen mussten. »Urteile wie das heutige schaffen einen sehr gefährlichen Präzedenzfall, nicht nur für Umweltproteste, sondern für jede Form des friedlichen Protests, der zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mit den Interessen der jeweiligen Regierung übereinstimmt«, so Forst.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.