Cemas-Studie: Das deutsche »Terrorgram« von innen

Center für Monitoring, Analyse und Strategie veröffentlicht Bericht über Rechtsterroristen auf Telegram

Der Angeklagte Stephan Balliet wird nach der Urteilsverkündung im Prozess zum Terroranschlag von Halle zu einem Hubschrauber geführt.
Der Angeklagte Stephan Balliet wird nach der Urteilsverkündung im Prozess zum Terroranschlag von Halle zu einem Hubschrauber geführt.

Der Attentäter von Halle, die Gruppe Atomwaffendivision Deutschland, der im November 2024 festgenommene mutmaßliche Rädelsführer der »Sächsischen Separatisten« – sie alle ordnet das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) dem »militanten Akzelerationismus« zu. Dahinter steckt grob gesagt die Idee, den Zusammenbruch der Gesellschaft zu beschleunigen, um anschließend ein politisches System der weißen Herrschaft zu etablieren. Wie genau dieses aufgebaut sein soll, ist dabei zweitrangig. Hauptsache Antifeminismus, Antisemitismus, Rassismus. Hauptsache Kollaps. Dafür sollen soziale Spannungen verschärft werden, häufig durch Gewalt. Seit 2022 überwacht Cemas die Aktivität entsprechender Gruppen im Messengerdienst Telegram. Am Mittwoch legte die gemeinnützige Organisation erstmals Zahlen für die Aktivität deutscher Nutzer im sogenannten Terrorgram-Netzwerk vor.

Insgesamt 651 vermeintliche deutsche Accounts in 164 Terrorgruppen macht Cemas aus. 83 davon kategorisiert Thilo Manemann, der Autor des Berichts, als »Heavy User«, also besonders aktive Nutzer. Bei ihnen sei von einem erhöhten Gefahrenpotenzial auszugehen, heißt es in dem Bericht.

Eine von Cemas geführte Datenbank rechnet jeden vierten durchgeführten oder geplanten rechtsterroristischen Anschlag seit 2018 dem militanten Akzelerationismus zu. Miro Dittrich, Rechtsextremismus-Experte bei Cemas, spricht gegenüber dem »Spiegel« von der aktuell »dominantesten Strömung des Rechtsterrorismus«.

»Die Ideologie, die dem militanten Akzelerationismus zugrunde liegt, ist vergleichsweise voraussetzungsarm«, sagt Forscher Mandemann zu »nd«. »Und das Netzwerk liefert genug Inhalte, um sich innerhalb weniger Wochen radikalisieren zu können.« Außerdem könne die Radikalisierung von Zuhause aus erfolgen – ganz ohne in Kontakt mit lokalen rechtsextremen Strukturen stehen zu müssen. Viele Chatmitglieder seien minderjährig.

»Das Netzwerk liefert genug Inhalte, um sich innerhalb weniger Wochen radikalisieren zu können.«

Thilo Manemann Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas)

Cemas fordert deshalb Telegram dazu auf, stärker gegen das Netzwerk durchzugreifen, mit Sperrungen von Accounts oder Gruppen. Der Messengerdienst ist für seinen laxen Umgang mit rechtswidrigen Inhalten bekannt. Der nun erschienene Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass in nur fünf Prozent der beobachteten Gruppen mindestens ein deutscher Account von einer kompletten Sperrung betroffen war.

Allerdings können Sperrungen auch dazu führen, dass das Terrorgram-Netzwerk von Telegram abwandert und seine Aktivitäten in weniger öffentliche – und schwieriger zu beobachtende – Gruppen verlagert. Dafür könnte sprechen, dass die Anzahl der pro Monat aktiven deutschen User seit 2023 beständig gesunken ist.

Bei der Interpretation dieser Zahl – wie auch der anderen Daten des Berichts – ist Vorsicht geboten: Cemas beobachtete ausschließlich öffentlich zugängliche Gruppen; die beteiligten Forscher*innen verhielten sich dabei passiv, was zu Ausschlüssen geführt haben könnte; und schließlich lassen die Chatverläufe nur bedingt Aussagen über die Nationalität der betreffenden Accounts zu.

Trotzdem zeige der Bericht, dass es neben einer stärkeren Kontrolle durch Telegram mehr Präventionsarbeit im Bereich Rechtsextremismus brauche, sagt Mandemann zu »nd«. »Prävention kann helfen, dass Kinder die Inhalte einordnen können, aber auch, dass Eltern verstehen, in welchen Netzwerken ihre Kinder aktiv sind.« Außerdem sei es wichtig zu verstehen, wie der militante Akzelerationismus als Netzwerk funktioniert, meint der Forscher. »Daran fehlt es bisher noch in den Ermittlungsbehörden.«

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