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Designer-Populismus
Die Wagenknecht-Partei macht Politik aus der Retorte. Frankreichs Präsident Macron ist damit gerade gescheitert, kommentiert Alex Demirović
In seiner Kulturkritik an jüngeren kapitalistischen Entwicklungen beobachtet Slavoj Žižek eine eigentümliche Tendenz. Es wird uns der Genuss gewährt, aber gleichzeitig wird uns auch gesundheitliche Fürsorge versprochen, wenn wir uns mit Surrogaten zufriedengeben. Bier ohne Alkohol, Kaffee ohne Koffein, Torten ohne Sünde, Wurst ohne Fleisch. Das, was einmal miteinander wie logisch verbunden war, wird abgetrennt. Žižek hat allerdings übersehen, dass es komplementär auch zu neuen Kombinationen kommen kann, die nicht nur vorhandene Bedürfnisse einschränken wollen, sondern die beanspruchen, Bedürfnisse zu achten oder neue Bedürfnisse zu erzeugen. In der flexiblen und spezialisierten Produktion werden die Produkte nach den Bedürfnissen der Kunden produziert, etwa die Farbe oder die Innenausstattung eines Autos. Sommeliers identifizieren unterschiedliche Käufergruppen, Zirkel und Geschmäcker, kreieren neue Weine und testen sie in aufwendigen Degustationen mit den möglichen Zielgruppen.
Politische Parteien sollen in Demokratien dazu dienen, die Interessen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen programmatisch zu formulieren und dafür Zustimmung zu mobilisieren. Sie organisieren einen entsprechenden Willen und tragen zu einer entsprechenden Umsetzung bei. Zu den erstaunlichen politischen Prozessen der modernen bürgerlichen Welt gehört, dass es neben modernen Parteien wie sozialdemokratischen, sozialistischen, kommunistischen oder Umweltparteien auch christliche Parteien gibt, also Parteien, die im Namen jahrtausendealter, vormoderner, religiöser Überzeugungen auftreten, nach denen heute im Ernst niemand mehr leben möchte und Politik unmöglich würde: keinen anderen Gott anerkennen, treu sein bis der Tod uns scheidet, nicht lügen.
Alex Demirović stammt aus einer jugoslawisch-deutschen Familie; der Vater wurde von den Nazis als Zwangsarbeiter verschleppt. Wegen eines politisch motivierten Vetos des hessischen Wissenschaftsministeriums durfte Demirović in Frankfurt nicht Professor werden. Seitdem bewegt er sich an der Schnittstelle von Theorie und Politik. Jeden vierten Montag im Monat streitet er im »nd« um die Wirklichkeit.
Da diese Parteien politisch erfolgreich sein wollen, verlassen sie sich nicht auf eine interne Willensbildung, sind sie nicht einfach Ergebnis eines organischen Prozesses, der von unten her – also aus dem Kleinbürgertum, der Arbeiterschaft oder dem Bürgertum – die politischen Ziele und konkreten Politiken bestimmt. Nein, sie setzen Werbung ein, verfolgen Marketingstrategien, arbeiten mit Fokusgruppen, in denen Programmpartikel getestet werden, bearbeiten die öffentliche Diskussion, um im Gespräch zu sein und andere aus der Öffentlichkeit rauszuhalten oder deren Politik einseitig zu skandalisieren. Die notwendige Auseinandersetzung mit dem zu hohen Fleischkonsum in Deutschland mit all seinen negativen Folgen für Gesundheit, Bodenbeschaffenheit, Grundwasser, bäuerliche Wirtschaft wurde demagogisch verkürzt auf den Veggieday und eine vermeintliche Verbotsforderung der Grünen. Im Fall der Partei Die Linke ist es gelungen, diese Partei öffentlich derart erscheinen zu lassen, als hätte sie jedes Interesse an der sozialen Lage ihrer Mitglieder, der Arbeiter*innen oder der breiten Bevölkerung verloren. Auch wenn sie kostenloses Mittagessen in Schulen und Kitas, Gratis-Tickets im Nahverkehr, höhere Löhne und Renten, höhere Besteuerung von Reichen fordert, läuft sie ins Leere.
Was im ökonomischen und kulturellen Bereich zu beobachten ist, findet auch in der Politik statt: Politik durch Design. Angesichts einer Krise der Repräsentation der Bevölkerung durch Parteien und gegen angebliche Politikverdrossenheit soll Populismus helfen. In Frankreich konnte sich eine Art Retortenpopulismus unter Macron bilden. Er gründete eine Partei, legte das Programm fest und wählte Funktionäre und Mandatsträger aus. Ziel war die Verhinderung der antieuropäischen Rechten. Unterstützt wurde er in Deutschland von Jürgen Habermas, Sigmar Gabriel und Daniel Cohn-Bendit. Geholfen hat es nicht. Macron verfolgte eine Politik gegen die Bevölkerung. Es gab die Proteste der Gelbwesten, der Kleinbauern, der Gewerkschaften gegen die Rentenreform. Gegen die Proteste wurde mit harten Gesetzesänderungen und polizeilicher Gewalt vorgegangen. Viele, die protestierten, erlitten schwere Verletzungen. Geholfen hat dies Macron nicht. Die Rechte wurde gestärkt; die Linke konnte strategisch Boden gut machen.
Mit dem Parteiprojekt von Sahra Wagenknecht hat Deutschland nun eine weitere populistische Partei. Populismus durch Design – Populismus ohne Volk. Mitgeholfen haben viele Talkshows und Umfrageinstitute. Wagenknecht konnte jahrelang falsche oder halbwahre Behauptungen gegen ihre eigene Partei lancieren und war als Kronzeugin gegen die Linke allemal willkommen. Es ist bemerkenswert, dass Wagenknecht mit ihrer neuen Partei nicht einmal den Anschein von Demokratie wahrt. Die Partei trägt ihren Eigennamen, das Programm entsteht nicht durch eine Willensbildung von unten. Das entspricht Wagenknechts Praxis, die sich auch in der Linken den Parteitags- und Vorstandsdiskussionen entzogen, nicht um Mehrheiten gekämpft, sich an Beschlüsse nicht gehalten hat. Wichtiger als an Bundestagsdebatten teilzunehmen war ihr, wie sie einmal dem »Spiegel« sagte, direkt den Kontakt zur Bevölkerung zu pflegen – durch die Teilnahme an Talkrunden im Fernsehen.
Es stimmt, das Grundgesetz sieht vor, dass Parteien zur Willensbildung des Volks beitragen, sie schaffen erst jene politischen Grundströmungen, die sie dann in Programmen, Wahlkämpfen und parlamentarischen Aktivitäten zum Ausdruck bringen. Diese politische Kunst, eine Politik aus dem Nichts heraus zu schaffen, wird von Wagenknechts Partei nun professionalisiert. Die Namensgeberin sagt das ausdrücklich. Sie hat eine Nische am politischen Markt gesucht und entdeckt, eine Lücke der Repräsentation, die sie nun mit einem eigenen politischen Angebot füllen möchte. »Wir haben da eine große Repräsentationslücke gesehen, und unser bisheriges Ergebnis und die Umfragen sprechen dafür, dass diese Einschätzung richtig war.« Sie sucht sich das Volk, das sie für sich selbst braucht – das ist opportunistischer Populismus als Programm. Gegründet wurde die Partei bewusst mit einem bestimmten Profil, das Programm ist Wagenknecht selbst. Ihre Partei kommt aus der Linken, sie selbst sitzt mit einem linken Mandat noch im Bundestag, aber links wollen sie nicht mehr sein. War ihre Kritik und die ihrer Follower an der Parteispitze der Linken, dass diese zu wenig sozial, zu wenig klassenpolitisch ausgerichtet war, so orientiert sich Wagenknechts Partei nun ebenfalls in die politische Mitte. Die Mitte wird autoritär-populistisch, anti-demokratisch, opportunistisch immer weiter mit rechten Themen aufgeladen. Das, was von der Gründung der Wagenknecht-Partei erwartet wurde, dass sie nämlich die Dynamik der AfD bricht, erfüllt sich nicht – so wenig, wie Macron die Rechte schwächen konnte, sondern sie vielmehr gestärkt hat.
Als Populismus gilt seit den ersten Erfahrungen mit dieser Politikform in den USA im 19. Jahrhundert eine Bewegung, die sich für die Interessen der einfachen Leute einsetzt. Sie tritt ein für die, die auf dem Land und in den kleinen Städten leben und von den Politikern in der Hauptstadt vernachlässigt werden. Nach den Erkenntnissen von Ernesto Laclau und Stuart Hall kann der Populismus eine national-autoritäre Richtung annehmen wie im Fall der Tories unter Thatcher oder der AfD.
Er kann sich aber auch demokratisch orientieren und viele Gruppen des Volkes gegen Herrschaft mobilisieren, wie es in Ansätzen bei Podemos oder den Gelbwesten der Fall war: ein demokratischer Populismus von unten, der sich auf soziale Bewegungen, antirassistische und ökologische Kämpfe, Belegschaften und streikende Arbeiter*innen bezieht und gegen einen aristokratisch-autoritären Populismus von oben wendet. Der Narzissmus der Wagenknecht-Partei hingegen verblendet sich gegen die gesellschaftliche Lage und mobilisiert die Bevölkerung für den Rückschritt.
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