Olympische Spiele: Kopftuchdebatte in Paris

Anders als das IOC verbieten viele französische Sportverbände den Hijab

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Die iranische Ruderin Nazanin Malaei im langen Gewand und mit Kopftuch bei den olympischen Spielen in Tokio
Die iranische Ruderin Nazanin Malaei im langen Gewand und mit Kopftuch bei den olympischen Spielen in Tokio

Frankreich ist die einzige Demokratie, in der etliche Sportverbände das Tragen von religiöser Kleidung bei Wettbewerben untersagen. Dieses Verbot trifft vor allem muslimische Mädchen und Frauen, die ihren Hijab auch im Sport nicht ablegen wollen. Es ist eine Regel, die sich einreiht in Gesetze und Vorschriften der vergangenen zwanzig Jahre: In Frankreich können Behörden, Schulen und private Arbeitgeber das Tragen von Kopftüchern untersagen, meist mit dem Verweis auf den »Laizismus«, also auf die Trennung von Staat und Religion.

»Es ist aber so, dass nach dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen keine Staatsideologie, auch nicht die Einstellung zur Säkularität, ein Grund ist, um Religions- und Meinungsfreiheit einzuschränken«, sagt Katharina Masoud von Amnesty International in Deutschland. »Weder ein Kopftuchzwang noch ein allgemeines Kopftuchverbot ist mit den Menschenrechten vereinbar.«

Traumatisierende Erfahrungen

In einem neuen Report dokumentiert Amnesty International Beispiele aus dem Leistungs- und Breitensport. So wurden etwa Fußballerinnen, Basketballerinnen und Volleyballerinnen mehrfach von männlichen Schiedsrichtern aufgefordert, vor ihren Spielen ihr Kopftuch abzulegen. Eine solche Erfahrung kann traumatische Folgen weit über den Wettbewerb hinaus haben, sagt Katharina Masoud: »Die gesellschaftliche Teilhabe und die Gesundheitsförderung werden dadurch eingeschränkt. Und Mädchen und Frauen, die ein Kopftuch tragen wollen, haben weniger Identifikationsfiguren im Sport.«

Dieses Verbot religiöser Kleidung in Frankreich widerspricht den Regeln der internationalen Sportverbände. Der Weltfußballverband Fifa hat das »Kopftuchverbot« 2014 aufgehoben, der Weltbasketballverband Fiba 2017. Dass Frankreich einen eigenen Weg verfolgt, hängt wohl auch mit den politischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte zusammen. Insbesondere die rechtsextreme Partei Rassemblement National thematisiert das Kopftuch immer wieder als vermeintliches Symbol für Migration, Identität und Sicherheit.

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»Die Sportverbände manipulieren den Säkularismus für eigenen Zwecke und wollen Zeichen von Religion unsichtbar machen«, sagt die französische Soziologin Haifa Tlili. »Aber Säkularismus bedeutet, dass man sich so entfalten kann, wie man möchte, eben auch mit Hijab. Die Sportverbände lehnen eine konstruktive Debatte ab. Daher müssen wir uns Unterstützung außerhalb von Frankreich suchen.«

Haifa Tlili forscht seit Jahren zu religiösen Fragen im Sport. Und sie begleitet französische Fußballerinnen und Basketballerinnen bei der Vernetzung mit Menschenrechtsorganisationen. Gemeinsam beteiligen sie sich an Kampagnen in sozialen Medien oder verfassen offene Protestbriefe. Nun, vor den Olympischen Spielen in Paris, erhalten sie besonders viele Anfragen.

Niemand soll die Olympiaparty stören

In einer Initiative haben 70 Führungskräfte von französischen Vereinen einen Brief gegen das Verbot unterzeichnet. Diese Information war noch nicht öffentlich, doch sie sickerte an die Sportverbände durch. »Danach wurden die Vereine unter Druck gesetzt«, berichtet Haifa Tlili. »Wenn sie sich weiterhin zu diesem Thema engagieren würden, dann könnte man ihnen die Förderung streichen. In Frankreich soll vor Olympia niemand die Party stören.«

Auf eine Anfrage für diesen Artikel machte das Internationale Olympische Komitee (IOC) in einer schriftlichen Stellungnahme deutlich, dass es sich bei der Ausübung von Sport um ein Menschenrecht handele. Den Athleten stehe es frei, im Olympischen Dorf oder in den Sportstätten einen Hijab zu tragen. Für die Wettkämpfe selbst gelten die Regeln der internationalen Sportfachverbände. Dass jedoch die Regeln einiger französischer Verbände den Regeln ihrer Weltverbände widersprechen, will das IOC nicht verurteilen.

In der Stellungnahme beruft sich das IOC auch auf die französische Gesetzgebung und verweist auf eine Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichts in Paris: »Im vergangenen Jahr wies es die Berufung einer Gruppe von Sportlerinnen zurück und erklärte das Hijabverbot des französischen Fußballverbands für angemessen und verhältnismäßig«.

Andere Sportverbände erlauben den Hijab

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International halten solche Stellungnahmen nicht für ausreichend. Sie fordern, dass das IOC seinen Einfluss im französischen Sport geltend macht. Und sie verweisen auf Alternativen: In anderen Ländern gehen Sportverbände in ihrem Regelwerk nicht spezifisch auf das Kopftuch ein. Andere, wie der niederländische Fußballverband oder der dänische Basketballverband, haben genau festgeschrieben, wie ein Kopftuch getragen werden soll, damit es nicht zu Verletzungen am Hals kommt.

In Deutschland geht man einen anderen Weg als in Frankreich. Das Projekt »Bewegte Zukunft« beim Deutschen Olympischen Sportbund zum Beispiel macht sich für Diversität in den Führungsgremien stark. Hier werden auch Frauen mit Hijab als Bereicherung angesehen.

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