Tod von Ferhat Mayouf: Niemand trägt die Konsequenzen

Heute vor vier Jahren verbrannte Ferhat Mayouf in der Zelle eines Berliner Gefängnisses

Kein Entkommen: Mit zusätzlichem Vorhängeschloss abgesicherte Zelle in der JVA Moabit
Kein Entkommen: Mit zusätzlichem Vorhängeschloss abgesicherte Zelle in der JVA Moabit

Minutenlang waren Hilfeschreie zu hören, als am 23. Juli 2020 das Feuer in Ferhat Mayoufs Zelle ausbrach. Die Tür seines Haftraums in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit blieb trotzdem verschlossen. Als die Feuerwehr den Insassen eine halbe Stunde später herausholte, war er bereits verbrannt.

»Jene, die für den Tod von Ferhat Mayouf die Verantwortung tragen, bekamen bislang keine Konsequenzen zu spüren«, kritisieren die Herausgeber*innen der Broschüre »Ferhat Mayouf – kein Vergeben, kein Vergessen«. Die Berliner Staatsanwaltschaft habe die Ermittlungen trotz Strafanzeige eingestellt. Für »Justiz und Knastleitung war schnell klar, dass es sich um einen ›Suizid‹ handeln muss«, schreiben die Herausgeber*innen weiter. Sie bezweifeln jedoch, dass Mayouf sich selbst das Leben nehmen wollte. »Menschen werden durch den Knast systematisch zum Tod gedrängt«, kritisieren die Herausgeber*innen.

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Die Broschüre, herausgegeben vom Bündnis »Death in Custody« (Englisch für: Tod in Gewahrsam), »Free Mumia«, die sich für die Freisprechung des US-amerikanischen Journalisten und Bürgerrechtlers Mumia Abu-Jamal aussprechen, »Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt«, »Perspektive Selbstverwaltung« und die Rote Hilfe Berlin, richtet sich mit ihrer Kritik an die Öffentlichkeit. Auch der Verein Migrantifa, der sich nach dem Anschlag in Hanau gründete, äußerte sich im Januar 2021 zu dem Fall Ferhat Mayouf.

»Nach jeder rassistischen und tödlichen Gewalt will am Ende keine Person verantwortlich gewesen sein«, lautet die Aussage der Migrantifa. So fänden sich unterdrückerische, rassistische sowie gewaltvolle Verhältnisse »in allen Facetten unseres Lebens und der Gesellschaft«. In Gefängnissen seien diese Verhältnisse allerdings extremer. Daher sei es noch wichtiger, »für uns, die hier draußen sind, in aktiver Solidarität mit den Gefangenen zu stehen«.

Über das Leben von Mayouf sei nicht viel bekannt gewesen, führt »Death in Custody« aus. Er kam aus Algerien und hatte in Deutschland keinen legalen Status, weswegen er keiner offiziellen Arbeit nachgehen oder sich nicht beim Anwohnermeldeamt registrieren konnte und keinen Zugang zum Sozial- und Gesundheitssystem hatte. »Vermutlich verdiente er seinen Lebensunterhalt mithilfe prekärer Jobs und durch Kleinkriminalität«, schreibt das Bündnis. »Menschen, die unter solch prekären Umständen leben (müssen), haben ein erhöhtes Risiko, von der Polizei oder Ausländerbehörden kriminalisiert zu werden.« Im schlimmsten Fall landen sie im Gefängnis, das sie nicht mehr lebendig verlassen können, erklärt »Death in Custody«.

»Menschen werden durchden Knast systematisch zumTod gedrängt.«

Herausgeber*innen der Broschüre »Ferhat Mayouf – kein Vergeben, kein Vergessen«

Ob es sich bei dem Tod von Mayouf um ein Tötungsdelikt mit Fremdeinwirkung oder um Suizid handelt, bleibt unklar. In der Broschüre finden sich auch Beschreibungen des Ablaufs der Festnahme, des Todes sowie der anschließenden Protestbewegungen bis hin zur Einstellung des Verfahrens. So wurde Mayouf am 29. Juni 2020 fest- und kurz darauf in Untersuchungshaft genommen. Ihm wurde versuchter Diebstahl vorgeworfen.

»Schon bei der Festnahme wird er dermaßen verprügelt, dass er mehrere Rippenbrüche erleidet«, schreiben die Herausgeber*innen. Im Juli desselben Jahres soll sich Mayouf in der Untersuchungshaft mehrmals selbst verletzt haben. Statt Hilfe zu erhalten, wird er laut Broschüre von den Schließern »verprügelt, kommt in Isolationshaft, anschließend wird er wieder mit sich alleine gelassen«.

Am 20. Juli soll Mayouf von Depression und Selbstverletzungen berichtet haben, verknüpft mit der Bitte, in das Haft-Krankenhaus eingeliefert zu werden. Die zuständige Richterin gibt an, Mayoufs Hilferuf an die JVA weitergegeben zu haben, eine Reaktion sei jedoch ausgeblieben. Drei Tage später bricht das Feuer aus und Mayouf stirbt an einer Rauchgasvergiftung.

Nachdem um 23.05 Uhr ein Mitgefangener Brandgeruch meldet, identifizieren vier Mitarbeiter*innen der JVA die Zelle von Mayouf als Ort des Brandgeschehens. Laut Broschüre sollen sie sich unmittelbar vor dem Haftraum befunden, aber sich dazu entschlossen haben, die Tür nicht zu öffnen – obwohl Mayouf um Hilfe rief und gegen die Tür hämmerte. Als um 23.25 Uhr die Feuerwehr eintrifft und die Tür öffnet, werden Reanimationsversuche unternommen. Drei Minuten später wird Mayouf für tot erklärt.

In der JVA ist anschließend eine Menge los: Am 29. Juli sowie am 5. August soll es Zellenrazzien bei jenen Gefangenen gegeben haben, die Informationen über den Tod Mayoufs nach außen trugen. Am 29. August findet die erste Demonstration in Moabit statt; im Januar folgen Kundgebungen und eine weitere Zellenrazzia bei einem Gefangenen, der sich mit einem Redebeitrag an der Kundgebung beteiligt hatte. »Als er sich davon nicht einschüchtern lässt, stellt die JVA ihm bei minus 10 Grad Außentemperatur die Heizung in der Zelle ab«, schreiben die Verfasser*innen der Broschüre. Von der JVA Moabit gab es auf Anfrage des »nd« bis Redaktionsschluss keine Rückmeldung.

An diesem Dienstag jährt sich Mayoufs Tod zum viertes Mal. Die Herausgeber*innen der Broschüre planen eine Demonstration, die um 17.30 Uhr an der U-Bahnstation Turmstraße starten soll. Die Protestierenden werden dabei auch an der JVA Moabit vorbeiziehen.

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