Krieg und Frieden im Felsenkeller

Im sächsischen Landtagswahlkampf wird auch über Aufrüstung und Pazifismus gestritten

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Gut gepanzert: Laut Verteidigungsminister Pistorius bleibt der Friede hierzulande nur mit immer mehr Waffen.
Gut gepanzert: Laut Verteidigungsminister Pistorius bleibt der Friede hierzulande nur mit immer mehr Waffen.

Die Debatte im Biergarten des Leipziger Felsenkellers wogt schon eine Weile, da meldet sich ein Mann mittleren Alters. Er sei Sozialdemokrat wie die Prominenten im Podium, die im Wahlkampf stehende sächsische Sozialministerin und SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping sowie der zu ihrer Unterstützung angereiste Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Der Fragesteller erklärt, er sei in der christlichen DDR-Friedensbewegung in Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses politisiert worden, der 1979 die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa vorsah: »Frieden hat mich damals umgetrieben, und das tut er heute genauso.« Besorgt verweist er auf die kürzliche Entscheidung der Nato, ab 2026 in Deutschland Raketen vom Typ »Tomahawk« aufzustellen. Frage an den Bundesminister: »Muss ich mich fürchten?«

Pistorius müht sich redlich, die Sorgen zu zerstreuen. Die Tomahawks seien eine Antwort auf in Kaliningrad stationierte russische Atomraketen. Menschen wie der Fragesteller sollten sich vor diesen »nicht fürchten müssen, weil wir uns dagegen wehren können und die andere Seite das weiß«. Die »nicht schöne, aber einfache Logik«, der man im Westen aktuell wieder folge, sei die gleiche wie in den 80er Jahren: »Das Prinzip Abschreckung hat uns damals vor einem Krieg bewahrt.«

Viele Menschen wollen dieser Logik indes nicht folgen. Etliche äußern ihren Unmut schon anderthalb Stunden vor Beginn der SPD-Veranstaltung vor dem Felsenkeller. »Frieden schaffen ohne Waffen«, steht auf einem Transparent, von einer »Bedrohungslüge« ist auf einem anderen die Rede. Zu den Anmeldern der Kundgebung zählt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das auf Flyern eine »sofortige Volksbefragung« zur geplanten Stationierung fordert. Statt Aufrüstung brauche es eine »Intensivierung der diplomatischen Bemühungen für einen umgehenden Waffenstillstand«. Das gelte für die Ukraine wie für Gaza.

Eine Volksbefragung ist nicht geplant, eine Abstimmung aber schon. In gut fünf Wochen wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt, und es ist absehbar, dass neben Themen wie Schule oder Nahverkehr auch die Friedensfrage eine nicht unwichtige Rolle spielen wird, ungeachtet der Tatsache, dass über Außenpolitik im Dresdner Landesparlament nicht entschieden wird. Das BSW ist eine der Parteien, die mit einer pazifistischen Haltung zu punkten suchen. »Wir geben dem Frieden wieder eine Heimat«, heißt es auf einem Plakat unter dem Konterfei der Parteigründerin. Diese hat erklärt, ein starkes Ergebnis in Sachsen wäre ein »klares Signal nach Berlin«.

Auch die AfD, die schon im Europawahlkampf Friedenstauben plakatiert hatte, setzt erneut auf das Thema. Ihr Thüringer Landeschef Björn Höcke sagte am Sonntag, es gebe viele Möglichkeiten, den Krieg zu wählen, aber nur eine für den Frieden, und das sei die AfD. Dem BSW warf er vor, nach Eintritt in eine Koalition werde es ebenfalls »das Lied der Kriegstreiber flöten«. In Sachsen dürfte man dieser Linie folgen. In beiden Bundesländern wird am 1. September gewählt, also ausgerechnet am Weltfriedenstag. Umfragen zufolge könnte die AfD jeweils stärkste Kraft werden. Dem erstmals antretenden BSW werden zweistellige Ergebnisse prognostiziert.

Als Friedenspartei will sich schließlich auch Die Linke wieder profilieren, bei der ein Bekenntnis zum Pazifismus jahrelang zum Markenkern gehört hatte. Im Europawahlkampf hatte sie das Thema wegen interner Differenzen ausgespart, was im Nachhinein für viel Kritik gesorgt hatte. »Einfach nicht über Krieg und Frieden zu reden, ist keine gute Strategie«, sagte etwa die Linke-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch. In Sachsen wollen die Genossen nun wieder über das Thema reden, auch in der Hoffnung, durch eine klare Haltung die nötigen Stimmen für den ungewissen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde einzusammeln. Während die Landespartei bei ihren Plakaten bisher allein auf soziale Themen setzt, hat der Leipziger Stadtverband ein zusätzliches Motiv gestaltet: »Frieden jetzt. Aufrüstung stoppen« steht darauf.

Parteien wie die SPD setzt das unter Druck. Deren sächsische Spitzenkandidatin Petra Köpping weiß, dass die in Berlin propagierte harte Linie gegen den russischen Aggressor und das Bekenntnis zur militärischen Unterstützung der Ukraine in Sachsen auch auf Vorbehalte stoßen. »Wir in Ostdeutschland sind anders sozialisiert«, sagt sie: »Die Nato und die Amerikaner waren die Feinde, die Sowjetunion hat uns unterstützt.« Aktuell nimmt sie zwar eine enorme Bereitschaft zu humanitärer Hilfe für ukrainische Flüchtlinge wahr, aber auch ein »riesengroßes Interesse an Frieden«.

Der gemeinsame Termin mit Pistorius ist für die Spitzenkandidatin der Partei, die aktuell in Sachsen wie im Bund an der Regierung beteiligt ist, aber im Freistaat in Umfragen nur bei fünf bis sieben Prozent rangiert, denn auch durchaus ein Wagnis. Zwar hat sie mit Pistorius vor allem ihren Partner bei der gemeinsamen Bewerbung um den SPD-Bundesvorsitz 2019 eingeladen. In der Öffentlichkeit aber wird er als Verteidigungsminister wahrgenommen, zumal er rund um den Termin im Felsenkeller auch Bundeswehrstandorte in Leipzig und Delitzsch besuchte. Womöglich muss sich auch Sachsens SPD fürchten: davor, dass Wähler sie für die Berliner Außenpolitik abstrafen und lieber die pazifistisch aufgestellte Konkurrenz wählen.

»Wir in Ostdeutschland sind anders sozialisiert. Die Natound die Amerikaner waren dieFeinde, die Sowjetunion hatuns unterstützt.«

Petra Köpping SPD-Spitzenkandidatin
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