Kuba kommt Auswanderern entgegen

Havanna strebt eine Novellierung des bisherigen Migrationsgesetzes an

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 4 Min.
Kubaner stellen sich vor der spanischen Botschaft in Havanna an, um Visumsanträge einzureichen.
Kubaner stellen sich vor der spanischen Botschaft in Havanna an, um Visumsanträge einzureichen.

Eine Zahl sorgte in der vergangenen Woche in Kuba für Aufregung. Die Zahl der Einwohner der Insel ist in der ersten Jahreshälfte unter die neuralgische Marke von zehn Millionen gerutscht, gab die Regierung bekannt. Mehr als eine Million Kubaner haben in den vergangenen zwei, drei Jahren angesichts der schweren Wirtschaftskrise das Land verlassen. Einer aktuellen Studie der Vereinten Nationen zufolge wird die Bevölkerungszahl Kubas bis zum Jahr 2100 sogar bis auf den Stand von 1950 zurückfallen – unter sechs Millionen Menschen.

Vor dem Hintergrund des anhaltenden Massenexodus und der alternden Bevölkerung reformiert die Regierung in Havanna nun das Einwanderungs-, Ausländer- und Staatsbürgerschaftsrecht – und geht dabei einen großen Schritt auf die kubanische Diaspora zu. Die entsprechenden Gesetzentwürfe wurden in der vergangenen Woche vom kubanischen Parlament verabschiedet. Sie werden voraussichtlich Anfang 2025 in Kraft treten.

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Niemand verliert Rechte

Eine der wichtigsten Neuerungen ist die Abschaffung der bisherigen Regelung, wonach sich Kubaner höchstens 24 Monate am Stück im Ausland aufhalten dürfen, um nicht als »Auswanderer« zu gelten. Künftig verlieren Kubaner also nicht mehr Hab und Gut, wenn sie für mehrere Jahre ins Ausland gehen oder ganz fortgehen. »Niemand verliert seine Wohnung, sein Auto oder sein Eigentum, weil er im Ausland lebt«, unterstrich der Leiter der Abteilung Identifizierung, Einwanderung und Ausländerangelegenheiten, Oberst Mario Mendez Mayedo, gegenüber der Presse in Havanna. »Niemand verliert Rechte. Wir sind da kategorisch.« Die neuen Gesetze seien »ein Projekt, die Kubaner zu einen«, so der Beamte.

Stattdessen wird das Konzept der »effektiven Residenz« eingeführt, die Kubaner erlangen, wenn sie »sich in jedem Kalenderjahr vor dem Stichdatum die meiste Zeit im nationalen Hoheitsgebiet aufhalten, oder durch eine Kombination aus einer Aufenthaltszeit und anderen materiellen Nachweisen, die die Verwurzelung im Land belegen«. Ferner wird es möglich, die kubanische Staatsbürgerschaft abzulegen; andererseits können nicht nur Kinder von im Ausland lebenden Kubanern die kubanische Staatsbürgerschaft erlangen, sondern in Zukunft auch Enkel. Auch für Ausländer wird es leichter, die kubanische Staatsbürgerschaft zu erwerben.

Das neue Einwanderungsgesetz könnte zudem darauf hindeuten, dass der wachsende kubanische Privatsektor bald für ausländische Investitionen geöffnet wird und Auslandskubaner stärker in die Wirtschaft eingebunden werden. Demnach erhalten Ausländer, die bereit sind, in staatliche oder private kubanische Unternehmen zu investieren, die Möglichkeit für einen ständigen Wohnsitz in Kuba. Im Ausland lebenden Kubanern mit einem Unternehmen in Kuba wiederum wird ein besonderer Einwanderungsstatus zugestanden, als »Investoren und Unternehmer«.

Der Gesetzestext beschreibt jedoch weder die Rechte, die mit einem solchen Status verbunden sind, noch wie man diesen erwerben kann. Nach geltender Rechtslage ist es im Ausland lebenden Kubanern und ausländischen Investoren weiter untersagt, Privatunternehmen zu besitzen oder in solche zu investieren. Dennoch haben viele Kubaner im Ausland auf informellem Wege über Verwandte und Freunde in Unternehmungen auf der Insel investiert.

Entzug der Staatsbürgerschaft ist möglich

Auch wenn die Regierung den einenden Charakter der neuen Gesetze betont, gibt es Kritik an einigen Punkten. Umstritten ist etwa, dass die Behörden aus »Gründen der Landesverteidigung und der Sicherheit« oder wegen »feindlicher Handlungen« gegen den Staat bestimmten Personen die Ein- oder Ausreise verweigern können. Auch die Fortschreibung der bestehenden Regelung, qualifizierten Arbeitskräften »von hohem Wert für das Land«, etwa spezialisierten Ärzten, die Ausreise zu untersagen, wird von vielen kritisch gesehen.

Für Polemik sorgte auch die Möglichkeit des »Entzugs der Staatsbürgerschaft« wegen der »Beteiligung an bewaffneten Organisationen jeglicher Art mit dem Ziel, die territoriale Integrität des kubanischen Staates und seiner Bürger anzugreifen« oder »vom Ausland aus Handlungen zu begehen, die den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Republik Kuba zuwiderlaufen«, wie es heißt. Systemoppositionelle sehen darin ein mögliches Repressionsinstrument. Mendez Mayedo erklärte gegenüber der Presse, dass es sich um eine »extreme und außergewöhnliche Maßnahme« handele, und betonte, dass sie seit der Revolution nur gegen die Invasoren der Schweinebucht angewendet wurde.

Der Beamte des Innenministeriums unterstrich, dass die Reformen helfen, »demografische Klarheit zu bekommen: Wie viele Menschen wohnen effektiv in Kuba, wie viele alte Menschen?« Das sei wichtig für die öffentliche Politik, beispielsweise wenn es darum geht, Subventionen umzubauen – weg von der Subventionierung von Produkten, hin zur Unterstützung (vulnerabler) Gruppen, wie es die Regierung mehrfach angekündigt hat. Auf der Grundlage der neuen Gesetze soll im kommenden Jahr dann auch ein Zensus stattfinden.

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