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Der fragwürdige Superblick
Die Polizei Berlin unterhält fünf sogenannte Super-Recognizer, die auch dem Bund dienen
Wer kennt das nicht? Die Schauspielerin, die einem aus einer anderen Rolle bekannt vorkommt. Der Typ auf der Party, dessen Gesicht man irgendwo gesehen hat. Es gibt aber Menschen, die ein noch schärferes Erkennungsgedächtnis haben: Sie können Gesichter auch unter schlechten Lichtverhältnissen, aus ungünstiger Perspektive oder auf qualitativ minderwertigem Bildmaterial mit hoher Genauigkeit wiedererkennen.
Solche Menschen werden als »Super-Recognizer« (Super-Erkenner) bezeichnet. Der Begriff klingt, als handele es sich dabei um einen Helden aus einem Marvel-Comic. Dabei gibt es sie wirklich: Menschen mit angeborenem, besonders scharfem Auge. Im Berufsfeld der Sicherheitsdienste und Polizei nehmen sie zunehmend Raum ein.
June Tomiak von den Grünen verlangte nun für die Hauptstadt eine klare Stellungnahme. Anfang Juni richtete Tomiak eine schriftliche Anfrage an den Innensenat mit Fragen rund um Super-Recognizer im Land Berlin. Bei den Antworten, die Mitte Juli veröffentlicht wurden, stellte sich heraus, dass insgesamt fünf solcher Super-Recognizer für die Berliner Polizei tätig sind. Ausgewählt wurden sie durch ein internes Testverfahren; ihre Arbeitsstelle ist die sogenannte Zentralstelle Super-Recognizer, die seit dem 1. Mai vergangenen Jahres beim Landeskriminalamt Berlin angebunden ist.
»Grundsätzlich handelt es sich um ermittlungsunterstützende Hinweise.«
Christian Hochgrebe Senatsverwaltung für Inneres und Sport
Darüber hinaus gibt es weitere Super-Recognizer, die für Polizei Berlin tätig sind, allerdings werden sie nur für größere Einsatzlagen hinzugezogen und nehmen im täglichen Dienst andere Aufgaben wahr. Der Berliner Verfassungsschutz beschäftigt derweil keine solcher überragenden Gesichtserkenner.
Die in der Zentralstelle tätigen Super-Recognizer sind in allen Dienstbereichen der Polizei als einsatzunterstützende Servicedienststelle tätig. »Grundsätzlich handelt es sich um ermittlungsunterstützende Hinweise«, erklärt Christian Hochgrebe von der Senatsverwaltung für Inneres in seiner schriftlichen Antwort.
Allerdings kamen Berliner Super-Recognizer auch bei einer Zusammenarbeit mit der Bundespolizei bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft der Männer zum Einsatz. Dort erkannten die Gesichtserkenner drei Personen wieder; »zwei von diesen konnten als tatverdächtige Personen zu einem Hausfriedensbruch sowie Erschleichen von Leistungen im Publikum des Olympiastadions« identifiziert werden. Darüber hinaus werden Super-Recognizer in vier Fällen eingesetzt, bei denen die Bundespolizei aktuell ermittelt. Darunter fallen Diebstahl, Körperverletzung, Sexualstraftat sowie ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz.
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Für die Polizei Berlin ist der Einsatz dieser Super-Recognizer angeblich ein großer Erfolg. Der einjährige Testlauf, der im Mai 2023 begonnen hat, wurde im April 2024 um ein weiteres Jahr verlängert. Die abschließende Bewertung erfolgt im Frühjahr 2025.
Wirklich kritische Fragen – wie zum »Other-Ethnicity Effect«, also der schlechteren Wiedererkennungsleistung von Gesichtern, die nicht der eigenen Ethnie entstammen – unterließ die Fragestellerin der Grünen, June Tomiak. Dabei belegen Studien, dass weiße Super-Recognizer vor allem gut darin sind, andere weiße Personen in der Menge wiederzuerkennen. Bei BIPoC (Black, Indigenous and People of Colour, also von Rassismus betroffene Personen) sieht das schon anders aus – was die angeblichen Superkräfte der Recognizer entsprechend infrage stellt.
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