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Berliner CSD: Mehr als eine Party

Der diesjährige Christopher Street Day steht unter dem Schatten von Rechtsruck und Nahost-Debatte. Ein Gastbeitrag

  • Bodo Niendel
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein CSD-Teilnehmer protestiert im vergangenen Jahr gegen die Eröffnungsrede des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU).
Ein CSD-Teilnehmer protestiert im vergangenen Jahr gegen die Eröffnungsrede des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU).

Es ist wieder soweit: Am Samstag findet der Berliner Christopher Street Day (CSD) statt. Der CSD erinnert an den Aufstand in der Christopher Street in New York City am 28. Juni 1969. Lesben, Schwule, Sexarbeiter*innen und trans Menschen wehrten sich gegen die schikanierenden Polizei-Razzien in der Bar Stonewall Inn und leisteten zwei Tage Widerstand. Seitdem gehen weltweit queere Menschen alljährlich auf die Straße.

Berlin ist vielfältig, so auch die Prides. Der Berliner CSD ist nur eine von sechs Pride-Demonstrationen in der Stadt. Zuvor fanden bereits der Marzahn Pride, der East-Pride und die Behindert-und-verrückt-feiern-Parade statt. Am Freitagabend setzt sich der Dyke March für lesbische Sichtbarkeit ein. Und parallel zum Berliner CSD startet am Samstag in Neukölln der »Internationalist Queer Pride«.

Gastbeitrag

Bodo Niendel, ehemaliger Queerreferent der Linksfraktion im Bundestag und aktuell Mitarbeiter der Abgeordneten Kathrin Vogler und Dietmar Bartsch sowie langjähriges Vorstandsmitglied beim Verein »Berliner CSD« über Politik und Kommerz beim Christopher Street Day.

Doch die Feier von Liebe und Verständnis ist in diesem Jahr von einer Israel-Palästina-Debatte überschattet. Die Organisator*innen von Dyke March und der internationalistischen Demo ließen im Vorfeld ihre Solidarität mit Palästina erkennen. Ein Soli-Abend für den Dyke March im Szenelokal Möbel-Olfe endete im Eklat: Jüdische Lesben kamen und hängten ein Schild mit der Aufschrift »Safe Space für Jüdinnen und Israelis« auf. Daraufhin beschimpften einige Anwesende die Frauen als »Zionistenschweine«. Am Ende musste der Abend abgebrochen werden.

Am Samstag startet der Berliner CSD um 12 Uhr in der Leipziger Straße und endet am Abend am Brandenburger Tor mit diversen Show-Acts. 75 Trucks sind angemeldet, mehr als 500 000 Menschen werden erwartet. Doch der CSD steht unter Kommerz-Verdacht: Wummernde Trucks, gestellt von Ikea, Deutsche Bank und Ebay, verstärken diesen Eindruck. Kleine Vereine der queeren Community haben nicht die Möglichkeiten für einen Truck, der schnell einmal 30 000 Euro kosten kann. Sie haben häufig nur eine Fußgruppe, die kaum wahrgenommen wird.

Also alles nur Kommerz? Wer genau hinschaut, sieht nicht nur leicht bekleidete Menschen, sondern auch diverse junge Leute mit selbstgemalten Plakaten. Viele bewegt der gesellschaftliche Rechtsruck und die Wahlerfolge der AfD. Ein lesbischer Kuss ist in Hellersdorf eben noch lange nicht normal. Zudem nimmt die Gewalt gegen queere Menschen zu, wie die Polizeistatistiken der Länder belegen.

Dem Verein Berliner CSD ist zugute zu halten, dass er die Politik zum Handeln auffordert. Waren die Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Michael Müller (beide SPD) noch als Redner gesetzt, spricht Kai Wegner (CDU) nicht zur Eröffnung. Der Verein hatte von Wegner gefordert, sich politisch im Bundesrat für die Belange queerer Menschen einzusetzen. Konkret ging es um eine Bundesratsinitiative zu Artikel 3 des Grundgesetzes. Der Diskriminierungsschutz soll um das Merkmal sexuelle und geschlechtliche Identität erweitert werden.

Dieser Forderung kamen Wegner und der Berliner Senat nicht nach – entsprechend hält er dieses Jahr keine Rede. Marcel Voges vom Vorstand des Vereins sagt dazu, dass die Erweiterung des Grundgesetzes in Artikel 3 notwendig sei, »um queere Menschen dauerhaft im Grundgesetz zu schützen«. Gerade im Hinblick auf drohende Regierungsbeteiligungen von Rechtsextremisten sei dies relevant. Dass der Verein in Konfrontation zu dem Regierenden geht, unterstützt auch der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Klaus Lederer. Lederer betont, dass »die Anfeindungen gegen queere Menschen zunehmen«. Jetzt seien nicht nur Sonntagsreden gefragt. Zugleich seien wichtige »Szenekneipen, Clubs und kleinen Vereine durch steigende Mieten und nackte Kapitalinteressen von Verdrängung bedroht«, erklärt er.

Letzteres findet sich nicht im Forderungskatalog des Berliner CSD – Pride bleibt aber politisch, ist mehr als eine Party. Es geht um Anerkennung und einen Tag Auszeit. Oder wie es der schwule Kommunist und Literat Ronald M. Schernikau ausdrückte: »Heute ist Urlaub. Keine Lösung.«

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